Die Dresdner Philharmonie musiziert drei Konzerte live für den Hörfunk – ohne Publikum. Danach soll der öffentliche Konzertbetrieb wiederaufgenommen werden
Angesichts sinkender Infektionen durch Covid-19 ist unsere Gesellschaft gerade auf einem behutsamen Weg zur Normalität unterwegs, die aber insbesondere in der Kultur noch jenseits des Gewohnten und Bisherigen gestaltet werden muss. Anstelle der Rückkehr auf gewohnte Pfade betreten Musiker, Ensembles und Institutionen wie Opern und Konzerthäuser mit ihren Hygienekonzepten erzwungenes, aber gesundheitlich notwendiges Neuland und müssen Proben, Aufführungen und Projekte, im Prinzip jeden Vorgang auf und hinter der Bühne in Ursache und Wirkung überprüfen und neu denken.
Seit letzter Woche probt auch die Dresdner Philharmonie wieder im Saal des Kulturpalastes. Den Musikern ist die Erleichterung anzumerken, endlich wieder zusammenfinden zu dürfen, um gemeinschaftlich ein musikalisches Erlebnis zu schaffen. Das allerdings findet zunächst ohne vor Ort anwesendes Publikum statt – es wird für eine Radiosendung vorbereitet, die aber in der Live-Sendung zumindest die Spannung des einmaligen Konzertes erzeugt, nichts wird vorproduziert. Chefdirigent Marek Janowski steht für dieses Projekt am Pult der Dresdner Philharmonie und muss sich ebenso wie sein Ensemble nach den gesundheitlichen Vorgaben richten: Mundschutz außerhalb der Bühne, Abstände einhalten. Nur seine dirigierende Hand nähert sich hier und da in Richtung der Instrumentengruppen und fordert einen Akzent oder differenzierte Dynamik. Die Konzentration auf Hören und Sehen scheint noch geschärfter zu sein als ohnehin in einer Orchesterprobe üblich, denn die Musiker sitzen auf einer ins Parkett hinein vergrößerten Bühne, auf der auch in normalen Zeiten eine Mahler-Sinfonie bequem Platz hätte. Doch die etwa 30 Musiker füllen den Raum aus, die Bläser sitzen – so empfehlen es Studien, die die Luftströme und Ausstöße getestet haben – sogar noch weiter auseinander und sind mit Plexiglas etwas abgeschirmt. Zudem hat jeder Musiker nun ein eigenes Pult, Vorbeugen und Blättern beim Pultkollegen ist nicht mehr erlaubt.
Die Maßnahmen sind Empfehlungen und Gebote, denn einen wissenschaftlich einwandfreien und vor allem erprobten Standard gibt es in dieser für alle neuen Situation noch nicht. Marek Janowski hat Musik von Joseph Haydn und Paul Hindemith für diesen ersten großen Test nach der über zweimonatigen Pause – noch am 13. März hatte die Philharmonie ihre neue Saison angekündigt, deren Programme nun auch teilweise überarbeitet werden müssen – ausgewählt. „Haydn fördert das gegenseitige Zuhören – ich würde ihn als besten Orchestererzieher der Musikgeschichte bezeichnen“, so Janowski, der im gleichen Atemzug seine Musiker lobt, die mit der neuen Situation professionell umgehen würden und das Musizieren und auf Abstand, das bei kleinsten Wacklern bei Haydn sofort bestraft wird, schon gut umgesetzt hätten. Es entsteht ein wenig mehr ein solistisches Gefühl beim Spielen, und beim Zusammensetzen des Gesamtgefüges hilft die hervorragende Akustik im Kulturpalast, die aus diesen neuen Nuancen tatsächlich ein homogenes Klangbild zaubert – davon konnte man sich in der Probe überzeugen. Natürlich haben alle Musiker in der Lockdown-Phase auch zu Hause geübt, aber das ersetze eben keinesfalls die Reflexe und Herausforderungen, auf die es in einer Orchesterprobe ankomme, so Janowski.
Neben den sechs „Pariser Sinfonien“ von Joseph Haydn stehen Kammermusiken von Paul Hindemith auf dem Programm der Rundfunkkonzerte; Marek Janowski betont, dass er für diese spezielle Situation genau solche Originalwerke spielen will, die für eine so reduzierte Besetzung geeinget erscheinen. Zudem sei darauf geachtet worden, dass fast alle Philharmoniker die Gelegenheit zum Mitspielen in diesem ersten Projekt nach der Pause bekommen: die Besetzungen in den Bläsern rotieren, einige Streicher spielen nur Hindemith, andere nur Haydn. Und obwohl nun auch mehr Zeit zum Proben verfügbar ist, ist in der Probe sofort spürbar, dass der von Janowski bekannte hohe Anspruch an die Ausführung der Werke auch unter diesen veränderten Bedingungen in keinster Weise nachgelassen hat. Der Dirigent erklärt den 1. Geigen die Tongebung auf den Saiten an einer bestimmten Stelle und wiederholt so lange, bis er seinen Musikern ein „Daumen hoch“ bedeutet – „Sensationell!“ lobt er das Orchester, und die gefährliche Stelle ist für den heutigen Tag im Kasten. Viel Arbeit ist an der Balance notwendig, um dem Gefüge von Haydns 83. Sinfonie, die aufgrund eines ‚pickenden‘ zweiten Themas im 1. Satz den Beinamen „La Poule“ – „Die Henne“ trägt, die nötige Deutlichkeit zu verleihen.
Auch Wolfgang Hentrich, Konzertmeister der 1. Violinen, ist froh, dass die Dresdner Philharmonie – wenn auch in der gebotenen Langsamkeit – in den Musizieralltag zurückfindet: „Die letzten Wochen waren wie eine Schockstarre“, sagt er. Geholfen haben kleine Konzerte auf dem Balkon und im Garten, für die Nachbarn. Zuletzt gab es auch Formate wie die 1:1-Konzerte, bei denen es auch wieder Kontakt zum Publikum der Philharmonie gab. Die Zuhörer zeigten sich von den intimen Konzerten berührt und äußerten, das musikalische Erlebnis sei doch eine essentielle, unverzichtbare Erfahrung. Das bestätigt auch Marek Janowski, der äußerte, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe neulich davon gesprochen, dass Kunst und Kultur in einem sehr buchstäblichen Sinn Lebensmittel seien. Dabei gehe es den Zuhörern eben nicht nur um das bloße Musikhören, was ja auch über das Radio ginge, sondern um das sehende und hörende Erleben von Musikaufführungen, so Janowski.
Genau für dieses Musikerlebnis wird sich die Dresdner Philharmonie in der verbleibenden Zeit bis zum Saisonende, deren reguläres Programm ja zunächst komplett abgesagt werden musste, weiter präparieren und in Testphasen und kreativen Formaten erproben, was möglich ist. Als nächster Schritt soll sich in dieser Zwischenphase der Wiederaufnahme des Konzertbetriebs in eingeschränkter Form wieder Publikum im Konzertsaal einfinden dürfen. Noch im Juni werde dafür kurzfristig ein Projekt mit dem Orchester stattfinden. Dann darf sich auch Ludwig van Beethoven über eine erneute Würdigung freuen, und zwar in der für diese Zeit ursprünglich geplanten Quartettaufführung. Für den Sommer und die kommende Saison sei man bereits in intensiven Planungen und werde die neuen Programme und Aufführungen kurzfristiger bekanntgeben, teilte die Philharmonie mit. Die musikalisch ungemein wichtige Fähigkeit eines auf minimale Änderungen flexiblen Reagierens scheint in diesen Zeiten in allen Bereichen nicht nur sinnvoll, sondern geradezu lebensnotwendig zu sein, und die endlich wieder spielenden Musiker hoffen, dass die Zuhörer der Dresdner Philharmonie ebenso flexibel und wandlungsfähig dem Ensemble die Treue halten werden.
Die Konzerte am 11. (20 Uhr), 12. (20 Uhr) und 13. Juni (19 Uhr) finden ohne Publikum statt, werden aber live von Deutschlandfunk Kultur übertragen. Als Solisten für die Kammermusiken von Paul Hindemith konnten Antoine Tamestit, Francesco Piemontesi, Arabella Steinbacher, Iveta Apkalna und Wolfgang Emanuel Schmidt gewonnen werden:
- Donnerstag, 11.06.2020 20:00 Uhr Kulturpalast Dresden
Arabella Steinbacher, Antoine Tamestit, Dresdner Philharmonie, Marek Janowski
Haydn: Sinfonien Nr. 82 C-Dur „L’Ours“ & Nr. 87 A-Dur, Hindemith: Kammermusiken Nr. 4 für Violine und Kammerorchester op. 36/3 & Nr. 5 für Viola und Kammerorchester op. 36/4 - Freitag, 12.06.2020 20:00 Uhr Kulturpalast Dresden
Wolfgang Emanuel Schmidt, Dresdner Philharmonie, Marek Janowski
Haydn: Sinfonien Nr. 84 Es-Dur & Nr. 83 g-Moll „La Poule“, Hindemith: Kammermusiken Nr. 1 für zwölf Soloinstrumente op. 24/1 & Nr. 3 für Violoncello und zehn Soloinstrumente op. 36/2 -
Samstag, 13.06.2020 19:00 Uhr Kulturpalast Dresden
Francesco Piemontesi, Iveta Apkalna, Dresdner Philharmonie, Marek Janowski
Haydn: Sinfonien Nr. 86 D-Dur & Nr. 85 B-Dur „La Reine“, Hindemith: Kammermusiken Nr. 2 für Klavier und zwölf Soloinstrumente op. 36/1 & Nr. 7 für Orgel und Kammerorchester op. 46/2
Ab 18. Juni live mit Publikum:
Maximal 498 Besucher dürfen pro Konzert in den Saal
Haydns Sinfonie Nr. 99 und Beethovens Streichquartett op. 18/2 G-Dur stehen auf dem Programm der ersten Konzerte, die die Dresdner Philharmonie wieder vor ihrem Publikum im Konzertsaal im Kulturpalast spielen kann. Chefdirigent Marek Janowski leitet das Programm am 18. Juni, 18 Uhr und 20.30 Uhr, zu Gast ist das Quatuor Ébène.
Grundlage für die Wiederaufnahme des öffentlichen Konzertbetriebs ist ein genehmigtes Hygienekonzept, das maximal 498 statt sonst knapp 1800 Gäste zulässt. Die Konzerte haben keine Pause und dauern eine reichliche Stunde. Ein spezielles Einlass-System sowie zusätzliche Hygienemaßnahmen (intensive Raumbelüftung, Reinigung und Desinfektion, Abstandsregeln, Tragen von Mund-Nasen-Schutz bis zum Erreichen des Sitzplatzes) tragen zum Schutz vor Ansteckung bei. Für die gastronomische Versorgung steht die „Palastecke“ vor und nach dem Konzert in ihren Räumlichkeiten zur Verfügung.
Tickets ab 23 Euro sind ab 8. Juni erhältlich (Schüler/Studenten 9 Euro, alle weiteren Ermäßigungen bleiben bestehen; Abonnenten erhalten 20 Prozent Ermäßigung) und können online über den Webshop der Dresdner Philharmonie, vor Ort sowie an der Abendkasse erworben werden. Auch eine telefonische Reservierung ist möglich. Der Tickettresen im Kulturpalast ist ab 8. Juni geöffnet: Mo-Fr 13-18 Uhr, Sa 10-14 Uhr. Informationen auf der Homepage der Dresdner Philharmonie: www.dresdnerphilharmonie.de
Foto (c) Dietrich Flechtner
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