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Ophelia, unentronnen.

Konzertperformance von Dorothea Wagner und Torsten Reitz in der Kulturkulisse

Es gibt Gestalten und Sujets in der Geschichte der Literatur und des Dramas, denen wir immer wieder begegnen, weil deren Charaktere so zeitlos und gleichzeitig ausdrucks- und emotionsstark gestaltet sind, dass sie Komponisten, Filmemacher oder Theaterautoren zu neuen Werken inspiriert haben – ungeachtet der Zeitläufte, die erst recht bestimmte Züge oder Fragestellungen zu den Figuren aufwarfen. Und so traf die in Dresden freischaffend wirkende Sängerin Dorothea Wagner in verschiedenen Zusammenhängen oder beim Studium der Gesangsliteratur immer wieder auf die Gestalt der Ophelia aus Shakespeares „Hamlet“, deren Schicksal in vielen ihr gewidmeten Vertonungen ebenso aufgegriffen wurde wie der Versuch, ihren Charakter, ihre Absichten und Gefühle wenn nicht zu deuten, doch zumindest musikalisch nachzuzeichnen oder dieser Frauengestalt einen intrinsischen Klang zu geben.

Dorothea Wagner, Jule Oeft, Albrecht Goette

In der gemeinsam mit dem Pianisten und Komponisten Torsten Reitz realisierten Konzertperformance geht Wagner dramaturgisch behutsam vor und beläßt etwa die musikalischen Vorlagen in ihrer Eigenart. Die Gestik der Sängerin ist sparsam, sie ist gleichsam noch in mehrere Figuren aufgeteilt, denn die Tänzerin Jule Oeft übernimmt das körperliche Ausleben der Töne und Worte und Schauspieler Albrecht Goette steuert mit einer Lesung aus Bonaventuras „Nachtwachen“ noch eine weitere Ebene hinzu, in der allerdings – auch noch aus der Irrenhaussicht des Protagonisten namens Kreuzgang – ständig nach dem Sinn, nach der Wirklichkeit und dem Ausweg gefragt wird: alles nur ein Schauspiel? Nein, und die Antwort liegt schon bei Shakespeare selbst. Der läßt Ophelia nämlich lieben, singen, dichten, erneut lieben, toben, wahnsinnig werden und schließlich sterben – ihre Erinnerung erst recht aufrecht erhaltend, da noch an ihrem Grab die Zurückbleibenden die nächsten Weichen für ihre Schicksale stellen.

Die besondere Qualität der Konzertperformance lag denn auch darin, Ophelia in ihrer Intensität der Gefühle eher respektvoll zu würdigen, nicht bis auf den Grund der Psychologie hin zu analysieren. In dieser Fülle liegt dann eigentlich auch die immense Kraft der Figur, gleich ob sich dies im leisen Extrem etwa der Berlioz-Vertonung „La Mort d’Ophelie“ oder in Wolfgang Rihms fast schon manischer Szene von „Ophelia sings“ artikuliert. Es war ein ziemlich guter Zug, dass genau diese Komposition an den Schluss platziert wurde, da Rihm mit scharfen Schnitten noch einmal alle Extreme, alle Bodenlosigkeiten dieses weiblichen Daseins, Zerbrechens und Vergehens in einem Stück zusammenfasst. Dafür hatte sich Dorothea Wagner auch Kraft aufgehoben und ging mit Torsten Reitz am Klavier diese wahnwitzige Reise kompromisslos und mit vollem körperlich-stimmlichen Einsatz an. Zuvor ging es eher zart zu, Ophelias Liebesgesänge in Vertonungen von Brahms und Strauss sind natürlich Bilder ihrer Zeit und werfen Schlaglichter auf eine romantische Lesart der Figur, wobei auch Strauss für seine „Ophelia-Lieder“ eine eigentümliche Klanglichkeit entwickelt, die Wagner mit schöner Stimmführung mühelos zu einem starken Bild formt.

Zuvor staunte man, dass sich selbst John Cage dem Sujet mit einer eigenartig kreisenden Komposition gewidmet hat – Pianist Torsten Reitz, der den ganzen Abend über verlässlich begleitete und an passenden Stellen gute eigene Nuancen setzte, steuerte außerdem eine eigene Uraufführung eines „Kinderliedes“ bei, das in diesem Zusammenhang ebenfalls gut wirkte. Die szenische Distanz und gleichzeitig die Begrenzung aller visionären Gedanken und Gefühle wurde durch undurchdringbare Kubus-Konstruktionen auf der Bühne aufrechterhalten und vor allem die sich manchmal wie ein Wurm zwischen zwei Stühlen umherschlängelnde, dann wieder über den Stühlen triumphierenden Jule Oeft blieb am Ende nichts als ein Besudeln mit Erde – Ophelia, eine Naturgewalt. Aber auch: Ophelia, unentronnen. Ein schöner szenischer Liedabend, der Fragen stellen wollte und in dieser beschreibend-respektvollen Haltung stimmig war. Und davon zeigte sich auch das kleine, aufmerksam lauschende Publikum begeistert.

Fotos (c) Stephan Floss

 

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