Debüt von Vasily Petrenko am Pult der Dresdner Philharmonie
Dass in diesen Zeiten im Konzert alles anders ist, mag im Verzicht oder in der Reduzierung Enttäuschung hervorrufen, und sicher weigert man sich weiterhin zumindest innerlich, die Insellösung für’s Publikum oder die Großraumhaydnsinfonie auf der Bühne im Kulturpalast als Dauerzustand anzuerkennen. Einstweilen ist aber nichts anderes möglich, und wir gewinnen dem, was ist, doch etwas ab, denn: endlich wieder (Live-) Musik! Endlich wieder Dresdner Philharmonie, und sogar ein lang ersehntes Debüt eines Gastdirigenten darf stattfinden, wenngleich Gustav Mahlers Vokalsinfonie „Das Lied von der Erde“ ebenso unaufführbar ist wie Strawinskys Klassiker „Le Sacre du Printemps“, der noch vor Wochenfrist auf dem alten Programm des Orchesters stand.
Doch Frühlingsopfer hatten wir nun wahrlich genug und der in Oslo und Liverpool als Chefdirigent sehr erfolgreiche Russe Vasily Petrenko hatte sich als Alternative zu Mahler ein nicht nur in der Besetzung gelichtetes Programm überlegt, auch die Stücke erschienen hell und sommerlich, sieht man einmal vom Bühnentod der Melisande in Gabriel Faurés Suite „Pelléas et Mélisande“ ab. Aber selbst dieser endet in impressionistischen Farben von Melancholie und Abschied – im Gegensatz zur wenige Jahre später entstandenen, gleichnamigen sinfonischen Dichtung von Arnold Schönberg kommt Fauré hier tatsächlich mit einem kleinen Orchester aus, nur die Harfe ist natürlich im französisch-romantischen Satz obligat. Wer das Stück nicht mehr in Erinnerung hat (Michael Sanderling begann 2011 übrigens genau mit dieser Suite seine Chefzeit in Dresden), dürfte spätestens im dritten Satz ein „ach ja“ loswerden: die sanft wiegende „Sicilienne“ ist selbst von Fauré für Cello und Klavier bearbeitet worden und in vielen Fassungen beliebt. In dieser Bühnenmusik von Fauré konnte man besonders gut beobachten, dass Petrenko bei seinem Debüt bei der Dresdner Philharmonie einen guten Draht zum Orchester gefunden hatte – die Musik benötigte meist nur wenige zeichnende Gesten seiner Hände, um die feinnervige Atmosphäre der Geschichte des Liebespaars zu unterstreichen.
Zuvor hatte sich die Philharmonie erneut einem Werk von Joseph Haydn gewidmet. Der Komponist hätte vermutlich nicht schlecht gestaunt, dass er in diesen Zeiten als Retter in der Not fungiert – normalerweise sind von der Esterhazy-Kapelle zeitgenössische Bilder überliefert, wo der Platz so eng ist, dass sich das Continuo beinahe auf die Füße tritt beim Spielen. Doch selbst in der „Sinfonia Concertante“ B-Dur ging es im Kulturpalast luftig zu, was aber dem Spielspaß keinen Abbruch tat. Die Solopartien der 1792 für die Londoner Salomon-Konzerte sportlich arrangierten Sinfonia übernahmen vier Konzertmeister der Philharmonie: Johannes Pfeiffer (Oboe), Daniel Bäz (Fagott), Heike Janicke (Violine) und Matthias Bräutigam (Cello) sorgten für ordentlich Schwung und Virtuosität und erhielten für das muntere Schnurren, bei dem Haydn keines der Instrumente im Brillieren verschont, am Ende die florale Anerkennung gleich von den Kollegen aus dem Orchester.
Brillant ging auch der Abend im Kulturpalast zu Ende, und Sergej Prokofievs 1. Sinfonie, die berühmte „Symphonie Classique“ ist ja ein Meisterwerk der Ökonomie. Petrenko gestaltete den 1. Satz noch verhalten im Tempo aus, damit konnte auch die Steigerung hin zum Finale gelingen, während die beiden Mittelsätze fein schwingend und sehr homogen klangen. Lediglich die Balance der manchmal etwas auftrumpfend agierenden Flöten wäre noch verbesserungswürdig gewesen, ansonsten stellte sich hier mit kaum 15 Minuten Minimalsinfonik rundum gute Laune ein – ein gelungenes Debüt des Dirigenten, das vom Publikum sehr herzlich aufgenommen wurde.
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