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Ein Dresdner Bürger made in Italy

Dirigent Gaetano d’Espinosa plant eine spannende Rückkehr ans Pult der Staatskapelle Dresden

Im Musikleben der Stadt gibt es viele Persönlichkeiten, die – wenn sie nicht von hier stammen – die Stadt zumindest zeitweise als Mittelpunkt ihres Schaffens wählen. Manche bleiben für immer, andere ziehen weiter, und einige wenige sind Wiederholungstäter oder Rückkehrer. Bei freischaffenden Musikern wie dem Dirigenten Gaetano d’Espinosa gab es all diese Phasen, doch ganz klar ist Dresden für ihn Lebensmittelpunkt. Dass die Kulturstadt an der Elbe für den Sizilianer auch wieder ein Schaffensort für sein Tun als Dirigent wird, ist einem Leben innerhalb der Kultur zu verdanken, das manchmal unvorhersehbare Haken schlägt, aus denen dann doch ein Bogen wird und fast eine Art Nachhausekommen. Doch der Reihe nach: Gaetano d’Espinosa wurde in Sizilien geboren, er kam als 21-jähriger nach Dresden und wurde als Geiger Mitglied der Sächsischen Staatskapelle. Schon diesem Engagement ging eine besondere Begegnung voraus. Musiker der Staatskapelle hörten d’Espinosa in Palermo in einem Kammermusikkonzert, als sie zu einem Gastspiel, einem der letzten unter der Leitung von Giuseppe Sinopoli, in der Stadt weilten. Daraufhin kam es zu einer Einladung nach Dresden, zunächst zu einem Spiel als Aushilfe im Orchester. „Ich war eigentlich am Ende meines Studiums und wollte noch weiter studieren, aber in Dresden hat es wunderbar gepasst, ich wurde sehr herzlich aufgenommen“ berichtet d‘Espinosa.

Zwei Jahre später wurde er stellvertretender Konzertmeister der 1. Violinen bei der Staatskapelle. Als Komponist konnte er damals sogar ein eigenes Violinkonzert in einem Aufführungsabend vorstellen, zudem wurde er Mitglied im „Freien Ensemble Dresden“, einem gemischten Kammermusikensemble, das in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiert. Doch das Leben hielt noch einige weitere Überraschungen für d’Espinosa bereit, der zunächst weiter als Geiger unter den neuen Chefdirigenten der Kapelle Bernard Haitink und Fabio Luisi spielte. Das Dirigieren indes war bis dahin eine Art schlummernder Geheimwunsch; in Palermo gab es keine richtige Möglichkeit dafür. Fabio Luisi erkannte das Potenzial, als er eine Videoaufnahme ansah, wo d‘Espinosa in Berlin zum ersten Mal ein Ensemble dirigierte. Daraufhin beschäftigte d‘Espinosa sich intensiv mit dem Dirigieren, nahm ein Jahr vom Orchesterspiel frei und wurde musikalischer Assistent von Luisi, der sein wichtigster Mentor wurde und es bis heute ist. Gaetano d’Espinosa hatte in dieser Zeit als Quereinsteiger ein enormes Lernpensum, und ihm half natürlich seine ausübende Tätigkeit als Geiger für das Wissen um den Apparat Orchester. Aber als immens wichtig für seine Entwicklung bezeichnet er das Feedback der Musiker, mit denen d’Espinosa nun vom Pult aus arbeitete. Hier ging es um die Aufnahmefähigkeit, das körperliche Umsetzen der Ideen und auch um eine immer wieder herzustellende Vertrauensbasis. Die Geige war in der Priorität dann etwas nach hinten gerutscht, der Wunsch, endgültig Dirigent zu werden, hatte sich durchgesetzt.

„Es begann dann eine Zeit des Erfahrungsammelns“, so d’Espinosa – „Ich bin zunächst nach Italien gegangen und habe dort das Sinfonieorchester ‚La Verdi‘ in Mailand dirigiert, sie ernannten mich nach dem ersten Auftritt zu ihrem Ersten Gastdirigenten.“ Seit 2011 hat sich d’Espinosa dort viel Repertoire erarbeitet, Klassiker wie Brahms, Schubert und Beethoven natürlich, aber auch Bartók und Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Zudem arbeitete er mit weiteren Orchestern in Italien zusammen, außerdem in Japan, in der Schweiz und Frankreich, und er erschloss sich auch die Oper mit Dirigaten und Projekten in Rom, Venedig und Lyon. Ganz getrennt hatte sich d’Espinosa aber von Dresden nie: „Ich bin ein Dresdner Bürger made in Italy“ – er wusste um die guten musikalischen Möglichkeiten seiner Wahlheimat hier und bekennt im Gespräch, er habe vermutlich „den Zufall mit seiner Wunschvorstellung der Rückkehr unterstützt“. Mit einem prall gefüllten Koffer an Erlebtem und Erlerntem ist er nun wieder da, obwohl Familie und Freundeskreis ohnehin die ganze Zeit seinen Lebensmittelpunkt nach Dresden ausrichteten.

Im Winter 2019 passierte dann das, was immer ein bisschen wie ein Musikermärchen klingt, aber in Wirklichkeit höchste Konzentration fordert und Adrenalin fördert: Ein Anruf von der Semperoper. Omer Meir Wellber sollte an diesem Abend „Nabucco“ von Verdi dirigieren, saß aber in Tel Aviv am Flughafen fest. D’Espinosa, der das Stück schon einige Male dirigiert hatte, hatte aufgrund der Kürze der Zeit gar keine Möglichkeit des Überschlafens oder gar Angstentwickelns und sagte sofort zu. Die Vorstellung selbst hat sich dann im Laufe des Abends zu einem besonderen Wohlgefühl für ihn entwickelt, eine besondere, ihm von früher bekannte Geborgenheit umfing ihn wieder, ebenso wie auch der gerühmte Klang der Staatskapelle. Zu dem Zeitpunkt war schon vereinbart, dass d’Espinosa die Wiederaufnahme von Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ im März 2020 dirigieren sollte – premiert übrigens von Omer Meir Wellber, der – nächster Zufall – nun auch Chefdirigent in d’Espinosas Heimatstadt Palermo geworden ist. Es ist eine traurige Gewissheit, dass diese Rückkehr in den Orchestergraben der Semperoper nun aufgrund der Pandemie vertagt werden musste. Doch für den Herbst sind weitere Projekte vereinbart: im 1. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle wird Gaetano d’Espinosa im November ein spannendes Orchesterprogramm mit Musik von Elgar, Herchet und Bizet leiten und im März 2021 wird er eine Serie von Aufführungen von Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“ dirigieren. Derzeit bleibt ihm das Komponieren, eine Kinderoper ist bereits in Arbeit. Und wie alle Musiker hofft er, dass das lebenswichtige Ausüben und die persönliche Begegnung mit den Menschen über die Musik bald wieder möglich sein wird.

Foto (c) Amac Garbe


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