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Dramatisch verdichtet

Dresdner Philharmonie spielt tschechische Sinfonik

Ein wenig fühlt man sich im Kulturpalast derzeit wie auf der berühmten Insel. Draußen in der Stadt ist die Welt noch immer seltsam auf den Kopf gestellt. Drinnen ist dank Abständen, Testung und Mikrofonie bei der Dresdner Philharmonie möglich und umgesetzt, was so dringend benötigt wird – Musik erklingt, und das auf allerbestem Niveau. Es muss noch immer ohne Publikum passieren, das ist der weiterhin traurige Zustand, um den herum es keine Ausrede gibt. Doch weil hier am vergangenen Freitag im Kulturpalast bei der Live-Aufnahme für den Rundfunk nicht notgedrungen etwas aus dem Boden gestampft wurde, sondern ein rundum spannendes und intensives Konzert gelang, wie man es von der Dresdner Philharmonie in normalen Zeiten kennt und schätzt, sei das Nachhören auf Deutschlandradio Kultur sehr anempfohlen.

Nach Tschechien konnte man mit dem Orchester diesmal auf Entdeckungsreise gehen, und gleich das erste Stück putzte gehörig die Ohren durch. Die Werke von Miloslav Kabeláč (1908-79), einem der bedeutendsten tschechischen Sinfoniker des 20. Jahrhunderts, harren sogar im Nachbarland noch immer ihrer Wiederentdeckung. Für die tief bewegende, humanistisch inspirierte Musik von Kabeláč war im sozialistischen Tschechien kein Platz, man verweigerte dem Komponisten noch 1970 die Ausreise zur Uraufführung seiner 8. Sinfonie in Straßburg. Seine 3. Sinfonie aus dem Jahr 1957 erklang nun als Erstaufführung der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast.

Tomáš Netopil

Sie ist sehr originell für Orgel, Blechbläser und Pauken instrumentiert und schöpft in gerade einmal zwanzig Minuten Dauer die Möglichkeiten dieser Kombination sehr intelligent aus. Kabeláčs musikalische Sprache ist zwar tonal orientiert, aber in ganz eigener Weise dissonant geschärft, schroffe Steigerungen bestimmen das Werk ebenso wie kontemplative Melodik. Für den Orgelpart konnte der US-Amerikaner Cameron Carpenter gewonnen werden, der erstmals die Eule-Orgel spielte. Oliver Mills übernahm den Pauken-Part. Fast mühelos klingen bei ihm die kontrapunktischen Verstrickungen des Werks, ein großes Pedal-Solo der Orgel leitet den 3. Satz ein. Die markant registrierten Orgelstimmen mischen sich geschickt mit dem dichten Blechbläsersatz, der  vor allem den ersten Hörnern und Trompeten großes Feingefühl abverlangt. Gastdirigent Tomáš Netopil führte mit guter Hand durch diese ungewohnt brausende Klangwelt, die wie ein gewaltiges, insgesamt im Charakter eher düsteres Manifest ohne Text wirkt.

Ebenso intensiv und auch ähnlich originell in der Besetzung gab sich das zweite Werk des Konzertabends – das Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken schrieb Bohuslav Martinů 1940 für den Schweizer Mäzen Paul Sacher, kurz bevor Martinů ins amerikanische Exil gehen musste. Es ist eine sorgenvolle, dramatische und verdichtete Musik, die ebenso wie bei Kabeláč aus einem künstlerischen Müssen in äußerlich bedrängten Zeiten rührt. Mit Christoph Berner am Klavier und Oliver Mills an den Pauken gab es hier erneut eine überzeugende Interpretation, bei der Netopil natürlich die Vertrautheit mit der Musik seines Landsmanns anzumerken war, lediglich einige klangliche Feinheiten etwa in der registerartigen Überlagerung der Stimmen wären noch optimierbar gewesen, und natürlich ist bei solchen stark emotionalen Werken auch die Frage schwer lösbar, inwieweit man dies spielerisch noch überhöht, was hier manchmal der Fall war oder im Gegenteil kühl bleibt, um eine musikalische Linie besser zu führen.

Das Abschlusswerk dieses tschechisch geprägten Konzertes war dann wie ein Einlassen von Sonnenstrahlen in den Saal:  Antonín Dvořáks 6. Sinfonie ist anzumerken, dass sie in glücklicher Zeit entstand. Die Partitur quillt über vor melodischen Einfällen, die Dvořák etwas offenherzig plaudernd über viele Seiten verteilt. Natürlich ist die Dresdner Philharmonie bei der Verteilung der D-Dur-Geschenke nicht um großen Klang verlegen – der sich dafür körperlich stark ins Zeug legende Tomáš Netopil hätte einigen Übergängen und Steigerungen doch mehr differenzierende Leichtigkeit verleihen dürfen. Stattdessen brauste ein überwiegend furioses Fest durch den Saal, der Applaus wäre sicher gewesen. Und schon allein wegen Martinů und Kabeláč, dem das Deutschlandradio auch einen kurzen biografischen Essay in der Sendung widmet, lohnt das Nachhören.

Fotos (c) Björn Kadenbach


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Veröffentlicht in Dresden Rezensionen

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