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Schaurig-schöne Glücksmomente

 

Gustav Mahlers 5. Sinfonie cis-Moll mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Den großbesetzten Werken des Spätromantikers Gustav Mahler räumt man zur Zeit sicher die wenigsten Chancen ein, dass sie vor dem Ende der Pandemie überhaupt in den Sälen ertönen werden. Meistens ist derzeit, selbst wenn ohne Publikum für Radio oder CD gespielt wird, bei einer Orchesterstärke von etwa 50 Musikern Schluss. Doch die Staatskapelle Dresden hat immerhin ihr großes Konzertzimmer parat und konnte mit Testung und Abstand tatsächlich die 5. Sinfonie cis-Moll letzte Woche als Rundfunkkonzert aufnehmen, damit auch wieder in die Tradition der Pflege dieser anspruchsvollen Sinfonik einsteigen und zugleich probieren, ob und wie diese Musik in der nächsten Zeit überhaupt aufführbar sein wird.

Zwei gerne gesehene Gäste kümmerten sich in den letzten Jahren besonders um die Mahler-Pflege in Dresden, neben Myung-Whun Chung ist es der Brite Daniel Harding, der nun auch am Pult des Orchesters stand. Die Begrüßung zum Beginn der Aufzeichnung musste Harding bis in himmlische Höhen hinauf rufen, denn fast wie ein gekipptes Bücherregal saß das Orchester bis auf die letzte Stufe drapiert – witzigerweise nähert man sich damit fast den Zeiten Gustav Mahlers an, als Ballsäle und Gewerbehäuser ja für die immer beliebter werdenden Sinfoniekonzerte mitgenutzt wurden. Zeitgenössische Fotografien zeigen da auch eine sicher seltenst kaum akustisch zufriedenstellende Stapelung des Mahlerschen Riesenapparates.

Doch die Sächsische Staatskapelle Dresden machte das Beste aus der Situation und überdies, so der Solohornist Robert Langbein im Rahmen der Proben, sei Gustav Mahlers 5. Sinfonie eine „Herzensangelegenheit“, deren Komplexität zum Missfallen des Komponisten zu Zeiten der Uraufführung von den Musikern noch kläglich unterschätzt wurde, weswegen Mahler die Premiere der Sinfonie am liebsten um fünfzig Jahre verschoben hätte. Solch lange Verständniszeiträume braucht es heute für diese Musik nicht mehr, dennoch ist die fünfsätzige Fünfte tatsächlich ein Füllhorn vor allem von Spannung und Leidenschaft, die ein Dirigent erst einmal in die richtigen Bahnen lenken muss.

Daniel Harding erfreute Musiker und hoffentlich auch das am vergangenen Freitag bei der MDR-Übertragung mitfiebernde Publikum mit einer Lesart, die sehr nah an der Partitur ausgerichtet war und im Detail flexibel und immer auf dem Grundtempo schwingend war. Dabei war Hardings Maxime in deutlich zurückgenommenen Tempi zu agieren, die sich aber an Mahlers unmissverständlichen Anweisungen („Pesante!“, „Nicht zu schnell“) orientierten. Harding komponierte insbesondere die vielen Übergänge nicht neu, sondern ließ die Kapelle dort fließend musizieren. Dass das berühmte „Adagietto“ am vergangenen Sonntag als Beitrag zum Gedenktag für die Corona-Opfer veröffentlicht wurde, strahlte ein wenig auch stimmungsmäßig auf die anderen Sätze aus, die menschliches Schicksal zwischen Jubel und Leid verhandeln, beginnend mit dem cis-Moll-Trauermarsch, der bei Harding nicht marschiert, sondern fast ermattet klingt.

Die großen Linien des 2. Satzes finden ihren Mittelpunkt in dem langen, wunderbaren Solo der Celli, während im riesenhaften Scherzo die sechs Hörner die Debatte anführen, was in der leeren Semperoper zu schaurig-schönen Glücksmomenten führt – tatsächlich hat Mahler wie zuvor in der 1. und 3. Sinfonie den Hörnern einen besondes intensiven Part zugedacht. Harding vermeidet hier offenkundig die Süffisanz einer Wirtshausatmosphäre im Dreiermetrum, und das Solo-Streichquartett scheint von einem anderen Planeten zu stammen, so silbrig-fein ist der Klang austariert.

Das Adagietto fließt im stillen Gesangston und vermeidet Dramatik, bevor das Schlussrondo – („Frisch!“ schreibt Mahler da frech in die Partitur, wo man gerade noch in der emotionalen Achterbahn der letzten vier Sätze sitzt) einen möglichen Ausgang in D-Dur skizziert – zurück ins pralle Leben. Das berührt, beinahe erschrickt in der Aktualität besonders und bekräftigt den Wunsch nach Wiederöffnung der Konzertsäle, damit endlich wieder viele Menschen von den zeitlos wichtigen Botschaften dieser Musik erreicht werden.

Fotos (c) Matthias Creutziger


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