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Pause – entleert und gefüllt

Neues beim Abschlusswochenende der Tonlagen Hellerau

Mit einem vollgepackten digital-musikalischen Wochenende ging die erste Runde der „Tonlagen“, der 30. Tage der zeitgenössischen Musik beim Europäischen Zentrum der Künste Hellerau zu Ende. Als großes Experiment mit Konzerten, Diskussionen und Arbeitsständen unter dem Titel „Pause“ erschienen die Beiträge ebenso kontrovers wie in sich überzeugend – es gab viel zu entdecken.


Eine Pause eröffnet Möglichkeiten. Der lapidare Satz ließe sich aus vielen Perspektiven interpretieren. In der Zurücknahme, im Innehalten oder gar Schweigen üben wir uns situationsbedingt gerade alle, erkunden das Davor, fragen nach dem Danach. Die am letzten Wochenende – in erster Lesung, zwei weitere Blöcke folgen im Herbst und 2022 – zu Ende gegangene „Tonlagen“, die 30. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik haben die Pause als Leitbegriff für die Besonderheiten des diesjährigen Programms gefunden.

Über drei Wochen hinweg bildete John Cages berühmte Komposition 4‘33‘‘ ein Kontinuum, an welchem entlang bewusste, zufällige und damit auch unbeabsichtigte Betrachtungen der Pause entstanden. Und ganz still war es ja auch nicht, denn mit dem Festspielhaus war der Raum vorhanden, die Kompositionen und auch, sogar die Interpreten standen bereit. Doch für alle Programmpunkte mussten kurzfristig individuelle Lösungen gefunden werden, die im Idealfall der Botschaft und auch der Würde des Kunstwerks ebenso gerecht werden sollten wie dem Interesse des Publikums, das sich, mehr geht noch nicht, wieder vor dem heimischen Bildschirm einfand.

Robin Schulkowsky (Percussion)

Immerhin: da die Auseinandersetzung mit den Präsentationsformen unterschiedlichster Werkformate sozusagen das tägliche Brot in Hellerau bildet, waren die Veranstalter nicht verlegen, der zeitgenössischen Musik das jeweils Passende und auch maximal Mögliche einer mis-en-scène mitzugeben. So wurde etwa Helmut Oehrings TanzFilmRequiem „Eurydike Vol. 2“ – die Uraufführung ist für 2022 geplant –  als Materialarbeitsstand zum Selbstentdecken präsentiert, Frieder Zimmermann spielte seine für Prohlis angedachte Häuserblock-Komposition auf dem Vorplatz in Hellerau ein. Am letzten Wochenende gab es weitere Online-Veranstaltungen zum Aufhorchen: mit Robert Lippoks „Sunday 4am“-Studie konnte man zum Sonnenaufgang am Sonntag seine Wohnung mit elektronischen Klängen fluten, nachdem die Komponistin Olga Neuwirth am späten Sonnabend mit ihrem Beitrag zu einem Jani-Christou-Musiktheater quasi die entgegengesetzte elektronische Klammer setzte – ganze zwei Stunden bearbeitete die Percussionistin Robin Schulkowsky im leeren Festspielhaus behutsam eine E-Gitarre und beim Zuschauen entleerten sich langsam die Gedanken in den dahingleitenden Abend.

Ganz anders im Sinne des Festivalthemas Pause wirkte am Freitag ein in Kooperation mit dem Sächsischen Musikbund aufgezeichnetes Konzert des Leipziger Ensembles „contemporary insights“, das aus studentischer Initiative an der Leipziger Musikhochschule hervorging und nun mittlerweile seit sieben Jahren in wechselnden Besetzungen Zeitgenössisches vorrangig junger Komponistinnen und Komponisten erkundet. Denn die Pause als musikalischer Parameter oder als Ordnungs- oder gar Ausdruckselement war in den neuen Partituren nicht en vogue, stattdessen wurden munter ganze Kübel an Tönen in allen möglichen avancierten Spielarten auf die Zuhörer am Streamschirm ausgekippt. Diesen blieb es dann überlassen, mittels pdf-Programmheft und eigener Fantasie das Ganze wieder zu sortieren.

Ausgerechnet das erste Stück von Tobias Schick „In Erinnerung an eckige Zeiten“ ragte aus diesem Notenchaos weit heraus, weil Schick es vermochte, sein Material geschickt mit einer klanglichen Idee und einer übersichtlichen Form zu verbinden, der man gut folgen konnte – gerade die Überbelichtung der Musik blieb wie ein Stachel im Ohr hängen. „bačisc“ von Pablo Ondoni Olabarría wollte dann mantraartig die Unendlichkeit von Klängen untersuchen, doch lediglich die Brutalität einer musikalischen (Ent-)Äußerung teilte sich mit. Das ist ebenso uninteressant und unzureichend wie die folgenden mäandernden Stücke von Dongsun Shin „Die Königsschlange verschlingt einen Elefant“ und „Die Berge unter dem Mondschein“ von Tianwei Zhu. Das könnte alles so sein, aber auch anders, der zwingende Zugang fehlte.

Fojan Gharibnejads „Rapeseed“ wirkte da als komprimierte Klangstudie anders: hier lag Musik als unbehauenes Rohmaterial herum und das reine Hören schien hier angebrachter als Zuschauen, denn die Plexiglasattacken auf das Innere des Bechstein-Flügels lassen überlegen, ob es nicht auch eine FSK für solche Musikvideos geben sollte. Elias Jurgschat schließlich präsentierte in „Betrachtung V“ bruitistische Cluster, gerufene Wortfetzen und dekonstruierte am Ende alles mit Fingertips auf Büroklammern, während man in Zachary Seelys „Condition No. 1“ lediglich durch einen am Ende auch nur müde wirkenden Schrei aus der Langeweile geholt wurde. Wenn das Konzert die „Reichhaltigkeit gegenwärtigen Komponierens“ wiederspiegeln sollte, so hatte man nach dieser Darbietung eher das Gefühl, dass das Komponieren an diesem Stand der Beschäftigung mit Tönen und Inhalten erst anfangen müßte, indes: die sich hier zeigende Haltlosigkeit innerhalb der Musik erscheint kaum verwunderlich in dieser unsteten Zeit.

Fotos (c) Klaus Gigga


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Veröffentlicht in Features Rezensionen

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