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Eindringliche Strauss-Matinée

Richard-Strauss-Programm im 10. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden

Das 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle konnte mit dem Originalprogramm als Stream bei arte concert ermöglicht werden. Am Sonntagvormittag erklangen Strauss-Lieder (mit Erin Morley, Sopran) und die Tondichtung „Ein Heldenleben“. Am Pult in der Semperoper stand Chefdirigent Christian Thielemann.

„Aber ferne schon über die Berge ziehen die Wetter, der Donner verhallt.“ Fast schon fühlte man sich am Sonntagvormittag ein wenig in der Atmosphäre des dramatischen sechsten, hier leider nicht aufgeführten Brentano-Lieds „Lied der Frauen“ hineingezogen, denn in vielerlei Hinsicht waren die letzten Wochen und Monate für die Staatskapelle Dresden und die Semperoper ja turbulenter Natur, was keinesfalls die Musik direkt betraf, denn die erklang ja – wenn überhaupt – nur für Ätherwellen und ohne Publikum. Nun verhallt, hoffentlich, auch der Donner der Pandemie langsam („Raben, zieht weiter!“) und bei der Staatskapelle vernimmt man Optimismus, dass noch im Juni einzelne Konzerte wieder mit Publikum stattfinden werden, die Planungen dafür laufen bereits.

Am Sonntagvormittag ging das 10. Sinfoniekonzert noch im leeren Semperbau über die Bühne, allerdings lud die Kapelle ein weltweites Publikum ein, denn die Aufführung wurde von arte im arte-concert-Kanal live gesendet. Noch einmal also wurden Hemd und Fliege für die Kamera gerichtet und dann galt der weitere Vormittag ganz dem Hausgott Richard Strauss. Wenn man bedenkt, dass die Sächsische Staatskapelle Dresden zu normalen Zeiten nahezu täglich auch im Graben sitzt und Strauss und Wagner so oft auf den Pulten liegen wie bei kaum einem anderen Orchester, kann sich den Wert dieses Sinfoniekonzerts ermessen, das im kraftfahrzeugtechnischen Sinne vermutlich einer außerordentlichen Wartung gleichkam. Und dafür muss selbstverständlich auch geprobt werden, muss sich ein Orchester immer wieder neu finden und gerade klangliche Finessen und feinste Balance-Abstimmungen erarbeiten.

Das war in der letzten Zeit an der Semperoper eine Zeitlang gar nicht möglich, und ein wenig klang daher am Sonntag auch ein befreiter, fast entfesselter Klang mit, auch wenn der letzte Turbo für die Spannung im Saal, das Publikum, noch vor den Türen bleiben musste. Begonnen hatte der Vormittag mit einer Auswahl aus dem reichen Liedschaffen von Richard Strauss, dessen eigene Orchestrationen noch einmal für genuin neue Kunstwerke sorgten. Durch den Wegfall des sechsten Brentano-Lieds und der Hereinnahme von „Muttertändelei“ Opus 43a bekam dieser Programmteil etwas Gebändigt-Sanftes, was aber dem wunderbar klar fließenden Sopran der US-Amerikanerin Erin Morley entgegenkam, die bereits im Dresdner Silvesterkonzert 2019 in Lehárs „Land des Lächelns“ brillierte.

Was Morley nun bei den Brentano-Lieder so wunderbar leicht und warm von der Bühne verströmte, war nicht nur die Behaglichkeit, die man sofort zwischen ihrer Stimme und dem Satz von Strauss verspürte, sondern auch Ergebnis des Meisterwerks der einfühlsamen Begleitung, für das Chefdirigent Christian Thielemann verantwortlich zeichnete. Da saß jeder Atemzug gemeinsam mit den Instrumenten auf den Punkt, jedes noch so kleine Anziehen im Tempo – etwa in „Als mir dein Lied erklang“ – nahm die Kapelle sofort ab und selbst im großen Tutti strahlte Morley ohne Anstrengung und Übertreibung – der Liedcharakter blieb gewahrt.

Als überraschende Zugabe und Uraufführung erklang ein aus späten Klavierskizzen von Richard Strauss neu komponiertes Orchesterlied nach Herrmann Hesses „Nacht“ des Berliner Komponisten Thomas Hennig, das aber in viel gewollter Authentizität nur tangential an Strauss heranführte. Vielleicht wäre ein stärkerer eigener, kompositorisch anmerkender Aspekt von Hennig spannender gewesen. Nach einer Umbaupause füllte sich die Bühne für die Tondichtung „Ein Heldenleben“, die diesmal unter Thielemanns Händen eine fast schon strenge Eindringlichkeit, aber auch wunderbar saftige, trotzdem immer atmend-schwingende Tutti-Passagen erhielt. Matthias Wollongs großes Violin-Solo ordnete sich in diese Ausdruckswelt nahtlos ein.

Dass Strauss sich nach dem wilden Schlachtengemälde des Helden etwas in der Beweihräucherung verliert, macht die Kapelle mit fleißigem Putzen des Strauss’schen Goldes im klanglichen Bereich wieder wett: immer wieder unterstrich Thielemann mit vollem körperlichen Einsatz die Vehemenz des musikalischen Flusses und brachte mit dem Orchester auch die finalen Takte der Tondichtung zur behutsamen Rundung und zu einem langen Nachhall, der sich rundete mit einer ebenso bewegenden Stille in den Minuten vor dem Beginn der Aufzeichnung des Sinfoniekonzerts. Ursprünglich sollte nun eine ausgedehnte Europa-Tournee dem Konzert am Sonntag folgen – zumindest die beiden Konzerte im Wiener Musikverein am 5. und 6. Juni werden stattfinden. Es wird nun auch hier endlich Zeit, dass man die Menschen wieder in die Säle läßt, damit solche einzigartigen Aufführungen vom Publikum nicht nur mit Interesse verfolgt, sondern auch verdient gefeiert werden.

Fotos (c) Matthias Creutziger

 


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