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Den leisen Tönen gewidmet

  1. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden

Ausgangs der nahezu eingedampften Konzertsaison 2020/2021 kehrt auch die Staatskapelle Dresden dank besserer Bedingungen nun zu einer Art Normalität zurück und konnte das 11. Sinfoniekonzert am vergangenen Freitagabend nach sieben Monaten zwischen Stille, Radiokonzerten und Streams endlich wieder als Aufführung vor Publikum präsentieren. Rund 300 Zuhörer in der Semperoper freuten sich sichtlich auf das Konzert, das – in Abwandlung des ursprünglich etwas größer besetzen, impressionistischen Programms – mit Sinfonik von Fauré und Dvořák aufwartete.

Der Erste Gastdirigent des Orchesters, der Koreaner Myung-Whun Chung, kehrte dafür zur Kapelle zurück und man weiß aus vielen früheren Begegnungen, dass der Kontakt mit dem Orchester und damit das musikalische Erlebnis immer etwas Besonderes ist. Dementsprechend stand dieser Abend auch unter dem spürbaren Stern des gegenseitigen Genusses. Die Musikerinnen und Musiker gingen sofort auf die Intentionen von Chung ein, den Beginn mit der Orchestersuite „Pelléas und Mélisande“ von Gabriel Fauré zu einer überaus sanften Erzählung auszugestalten. Die durchaus dramatische Geschichte des berühmten Liebespaars wurde erst in späteren Vertonungen mit spätromantischem Prunk ausgestattet, Fauré aber versenkt sich in die leisen Töne der Maeterlinckschen Dichtung.

Die Partitur ist fein gezeichnet statt breit ausgemalt, wobei die Leistung seines Schülers Charles Koechlin, der die Bühnenmusik zuerst instrumentierte, nicht verschwiegen werden sollte – gerade dessen eigene Werke harren immer noch der Entdeckung. Chung schwelgte im sofort bereitgestellten, feinsinnigen Kapellklang, ohne das selbstverständliche Fließen der Musik zu verlieren, und die berühmte „Sicilienne“ an dritter Stelle betörte in ihrer Schlichtheit. Und genau wegen solcher Erlebnisse der stillen Übereinkunft zwischen Musikern und Dirigent und dem sanften Ausbreiten des Klanges im Saal entstehen ja die kleinen Glücksmomente eines jeden Konzertes, die durch alle noch so achtbaren Ersatzbemühungen über den Äther eben nicht aufkommen wollen.

Und so ging es auch mit der 9. Sinfonie e-Moll „Aus der Neuen Welt“ von Antonín Dvořák weiter, die gleich im ersten Satz mehr Dramatik aufbietet, als Fauré in seiner Partitur etwa dem Tod von Mélisande zumutet. Doch hier sind es eher auffahrende, vorwärtsdrängende Figuren, die immer wieder durch Dvořáks einzigartige Melodiebildungen gemildert werden, so dass gerade der ganze 1. Satz wie aus einem Guss erscheint, und genau so wurde er von Chung auch interpretiert. Natürlich bekam jedes Motiv hier Luft zum Atmen, aber die Spannung war auf den Höhepunkt am Ende des Satzes ausgerichtet. Der 2. Satz startete mit Volker Hanemanns Englisch-Horn-Solo in entspannter Stimmung, und auch hier war immer wieder Chungs Ansinnen zu beobachten, viel Raum für Dvořáks Klangfarben und harmonische Besonderheiten zu geben, was in allen Sätzen zu eher leicht gemäßigten Tempi führte und mehr die lyrischen Seiten der Sinfonie hervorhob.

Manchmal überließ Chung das Ausmalen der Partitur mit kaum mehr sichtbaren Gesten gleich dem Orchester – solch ein freies Agieren ist zwar eigentlich ein schönes, seltenes Ideal einer Aufführung, führte hier und da aber auch zu einer leichten Vereinzelung im Klang. Schwungvoll und energisch nahm Chung dann den 3. und 4. Satz in seine Hände, und hier konnten alle Orchestergruppen intensiv leuchten, bevor Chung die Sinfonie mit ausgesucht schönem Blechbläserklang in das pompöse Finale leitete. Weil endlich wieder leidenschaftlich für das äußerst dankbar applaudierende Publikum musiziert werden kann, gab die Sächsische Staatskapelle noch eins drauf und spielte den Ungarischen Tanz Nr. 1 von Johannes Brahms als launige Zugabe, in welcher einige wilde Pferde aus Dvořáks Neuer-Welt-Saga erst einmal wieder eingefangen werden mussten…

Fotos (c) Matthias Creutziger


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