„Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas an der Oper Graz
Als österreichische Erstaufführung feierte die Oper „Morgen und Abend“ auf ein Libretto von Jon Fosse am vergangenen Wochenende Premiere an der Oper Graz. Ein Blick über den Dresdner Gartenzaun in eine wachsende und kulturell blühende Stadt und auf ein Opernwerk, das nachdenklich-nachdenkend an der Existenz des Menschen rührt.
Die steirische Landeshauptstadt Graz ist nicht so weit von Dresden entfernt, wie man denkt – mit dem Railjet „Vindobona“ ist sie sogar ohne Umstieg erreichbar. Eindeutig verbindet die von Nord nach Süd durchrauschende Mur die Stadt, und wer nicht überall Kunst entdeckt, geht vermutlich mit geschlossenen Augen durch Graz – das Kunsthaus mit dem berühmten „friendly alien“ lockt ebenso wie Street Art, Museen und eine lebendige Stadtgemeinschaft. Und dann ist da natürlich die singende und spielende Zunft, die mit allen Kräften auch in der schweren Zeit der letzten beiden Jahre nicht im Verborgenen oder Verbotenen raunte, sondern zumeist mit Publikum und nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten live stattfand.
Darüber ist Nora Schmid, Intendantin der Oper Graz, die 2024 nach Dresden an die Semperoper wechselt, mit Recht stolz – und so fährt auch in Österreich derzeit das kulturdurstige Publikum gerne in die Steiermark, und, man höre und staune, erst recht, wenn es dort zeitgenössische Musik gibt, die allerdings in Graz als offene Innovationsstadt schon eine gewisse Tradition, gar Verpflichtung genießt. Der Komponist Georg Friedrich Haas, der vor allem durch seine eindrucksvollen Spektralwerke international bekannt wurde, ist in Graz geboren; seine siebte Oper „Morgen und Abend“, die am vergangenen Sonnabend Premiere feierte, wurde in seiner Anwesenheit als österreichische Erstaufführung gegeben.
In Deutschland war das Bühnenwerk schon an der Deutschen Oper Berlin und am Theater Heidelberg zu erleben. Im vollbesetzten Grazer Opernhaus war es vor allem die suggestive und farbige Orchesterpartitur, die über die ganze Zeit hinweg fesselte, dies aber vor allem, da der (übrigens in Dresden aufgewachsene und ausgebildete) Roland Kluttig am Pult der Grazer Philharmoniker bis in feinste Schattierungen ausbalancierte, um das Hinein- und Herauswachsen der Klangmassen aus der Stille und wieder in die Stille zu transportieren. Orgelregisterartig entfaltet sich so ein Strom, auf dem quasi die gesamte Oper mitfährt, und der Chor formt unsichtbar in Vokalisen eine ‚Vox humana‘.
Behandelt wird nichts geringeres als Geburt und Tod, und Haas beläßt es bei einer nur in der Nacherzählung einfachen äußeren Handlung: Ein Fischer erfährt die Geburt seines ersten Sohnes (Morgen), der Sohn selbst erfährt am Ende seines Lebens die Begegnung mit der Vergänglichkeit allen Lebens (Abend). Nimmt man die Nacht als Todessymbol hinzu, so bewegt sich die Oper genau in den Zwischenräumen des Davor und Danach – endgültige Weisheiten sind da schwer zu erlangen. Diese Oper ist mehr eine emotional geprägte, eher schattig-dunkle Phantasie, und als solche wird sie auch von Immo Karaman, der gerade an der Semperoper „Die andere Frau“ von Torsten Rasch betreute, inszeniert.
Während Haas‘ Orchestermalstrom klar in die Richtung einer Klangfarbenkomposition weist, die starke Eigenheit aufweist, inszeniert Karaman auf der kargen Bühne von Rifail Ajdarpasic zumeist vorsichtig – jeglicher Aktionismus würde natürlich die Stimmung konterkarieren, doch manches Mal ist es die Vermeidungskunst im Bühnennebel dann doch auch lähmend. Ein Schiffsrumpf ist ebenso wie das Haus des Fischers, das sich in Zeitlupe über die Szene hebt und senkt, nur angedeutet. Der wunderbare Schauspieler Cornelius Obonya gibt den Vater Olai, der Zeuge der Geburt seines Sohnes wird, aber gleichzeitig dröhnen da die Trommeln, die zum Tod von Sohn Johannes am Ende wiederkehren werden.
Diese Sicht- und Hörweise einer Geburt ist in der Hilflosigkeit des im Kies robbenden Vaters sicher gewöhnungsbedürftig, zumal auch der Text kaum über ausgestellte Botschaften („vom nichts zum nichts“) oder Lapidares hinausweist. Doch damit beweist sich Oper einmal mehr als perfekte Gratwanderung, und Haas bohrt seine Clusterklänge derart in existenzielle Zwischenräume des Lebens, dass eine Unbeteiligung ausgeschlossen ist. Im zweiten Teil geht es intensiver um Beziehung, um Familie und ein Leben „ohne Worte, ohne Schmerzen, ohne Ich und Du“.
Am Ende formuliert Haas eine ohrenklingelnde Himmelfahrt, Fosse setzt die Worte „es ist nicht schön da unten“ hinzu und nach dem Vorhang brandet großer Applaus auf, zuvorderst für den in der Titelpartie des Johannes glänzenden Markus Butter, sowie für Cathrin Lange, Christina Baader und Matthias Koziorowski in weiteren intensiv gespielten Rollen. Viel Beifall gibt es auch für Roland Kluttig, das Orchester und selbstverständlich für den anwesenden Komponisten.
Nach Hause geht man mit einer gedanklich nachwirkenden harten Nuss, doch Graz bittet schon zum nächsten Kulturmenü: zwei Tage nach der Premiere gibt Kluttig mit den Philharmonikern im akustisch hervorragenden Stefaniensaal ein packendes Musikvereins-Konzert mit Musik von Eötvös, Bartók und Strawinskys lebensfrohen „Petruschka“-Szenen als Finale. Ein gutes, Hoffnung machendes Zeichen kommt da aus Graz herübergetönt, dass wir bei den anstehenden Wiederbelebungen und Öffnungen die Inspiration durch die Künste der Gegenwart durchaus in den Vordergrund setzen sollten, setzen müssen.
Nächste Vorstellungen: 2., 5., 13., 25. März, 6., 22., 24. April an der Oper Graz
Fotos (c) Werner Kmetitsch
Auf mehrlicht befinden sich mehr als 600 Rezensionen, Interviews, Reiseberichte und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser*in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende unterstützen wollen, freue ich mich sehr.
Kommentaren