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Ihre Stiefmutter

Lotte de Beer inszeniert „Jenůfa“ am Theater an der Wien mit einem fantastischen Ensemble.

Nein, gefeiert wird mit der letzten Produktion vor vielleicht zwei Jahren Umbau am Theater an der Wien sicher nicht. Denn bei Leoš Janáčeks dreiaktiger Oper Jenůfa, uraufgeführt 1904 in Brno, stockt einem schon aufgrund der Handlung der Atem – ein Kindsmord ist nichts für zarte Nerven. Dennoch avancierte die Oper zu einem Welterfolg, mit Anlauf allerdings, denn nachdem sie erst zwölf Jahre später die Prager Bühne eroberte, gelangte Jenůfa 1918 auch nach Wien.

Es ist auch die letzte Produktion in der Intendanz von Roland Geyer, man muss nach 16 Jahren von einer Ära sprechen. Stefan Herheim wird ihm ab Herbst folgen, mit Sicherheit mit neuen Impulsen und Ideenkraft für ein wiedererstehendes Haus. Inszeniert hat die Janáček-Oper die niederländische Regisseurin Lotte de Beer, die mit Beginn der Saison 2022/2023 Intendantin der Volksoper wird. Einstweilen zieht das Theater an der Wien in ein Interim, eine Halle im Museumsquartier.

Svetlana Aksenova (Jenůfa) und Nina Stemme (Kostelnička)

Die Premiere der „Jenůfa“ wurde omikronbedingt drei Tage verschoben, fand dann aber unter großem Jubel des Publikums statt: alle gesund, alles ausverkauft – auch die zweite, besuchte Aufführung am Montagabend war vollbesetzt und allein dieses Opernflair (wieder) zu spüren, dürfte auch die besondere Spannung unterstützt haben, die das gesamte Ensemble an diesem Abend aufbot.

Dabei gelingt Lotte der Beer vor allem, Janáčeks musikalische Qualitäten glänzen zu lassen und die psychologischen Schichten freizulegen – viel passiert in den Gesten, in der Personenführung, und zwar nicht mit dem Opernholzhammer, sondern in einer Haltung, einem plötzlich starren Gegenübersitzen am Tisch oder der feinen Zeichnung männlicher und weiblicher Charaktere. Denn vor allem geht es in dieser Oper um Beziehungen und Abhängigkeiten und am Ende des Abends ist ohnehin jede Figur durch die Aufdeckung der schrecklichen Ereignisse einer Wandlung unterzogen.

Svetlana Aksenova (Jenůfa), Pavol Breslik (Steva)

Doch die Zurückhaltung von de Beer wirkt dann in Verbindung mit der altbacken-ruinösen Bühne (Christof Hetzer) doch etwas merkwürdig, wenn sie sich zu sehr auf die Geschichte der Küsterin (Kostelnička) stürzt, die quasi ihr eigenes Unheil über die gesamte Stücklänge betrachten darf – Nina Stemme kommt also kaum einmal zum Luftholen an der Seitenbühne. Wir sind ihr natürlich dankbar, ein fulminanter Applaussturm brandet am Ende für sie auf, die vor allem die Tat, die Todeserkennung und den Wahrheitsmoment überragend stimmlich wie darstellerisch ausgestaltet.

Daher hat man ein ums andere Mal das Gefühl, doch einer recht klassischen Sichtweise beizuwohnen, was aber vor allem nicht stört, da man sich auf das einlassen kann, was da tatsächlich von Graben und Bühne tönt. Und das ist in allen Belangen sensationell gut. Die Russin Svetlana Aksenova gibt eine jugendlich unbeschwerte Jenůfa, ihr leichter Sopran ist aber sehr überlegt geführt und schwingt sich mühelos auch in den Ensemble zu strahlenden Höhepunkten auf.

Pavel Černoch (Laka), Svetlana Aksenova (Jenůfa)

Pavol Breslik hat als Števa die etwas kleinere Tenorrolle, meistert dies aber – Brust voraus – ebenso überzeugend wie Pavel Černoch als Laka, der sich mit ebenso fabulöser Stimme als weicherer Männerpart präsentiert, bloß ein Messer sollte man ihm nicht in die Hand geben. Und dann ist da noch Hanna Schwarz als alte Burya, ihre herzliche Ausstrahlung und wunderbar warme Stimme ist ebenso wichtiger Bestandteil dieser Aufführung, wie auch die Leistungen der Sänger:innen in den kleineren Rollen und der Arnold Schönberg Chor, der in der Inszenierung auch recht klassisch singen und tanzen darf – erst die Maskierungen im 3. Akt wirken erzählen endlich auch visuell etwas Neues, Spannendes.

Marc Albrecht steht am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien und schmeißt sich mit Verve in die Partitur, und das heißt vor allem den Bewegungen und Rhythmen nachzuspüren. Manchmal drängt es ein wenig forsch, aber es gibt unglaubliche Orchestermomente, denn Albrecht arbeitet subtil an den Klangfarben, unterstützt von wunderbaren Solisten im Orchester wie der Konzertmeisterin, die auf dem Höhepunkt der Oper alleine das Unglaubliche der Tat in Töne bringt.

Dem gesamten Ensemble ist am Ende nicht nur Erleichterung nach der Anstrengung anzuspüren, sondern tatsächlich Glück – dass endlich wieder so eine Opernstimmung möglich ist. Nein, nicht wie früher. Kein Mensch will zurück, aber jeder Moment des Musikmachens war in diesen gut zwei Stunden intensiv wie lange nicht.

Nächste Aufführungen: 24., 26., 28. Februar, jeweils 19 Uhr. ORF Ö1 überträgt live am 26.2.

Fotos (c) Werner Kmetitsch


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Veröffentlicht in Rezensionen Wien

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