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Ballade und Totentanz

Bei einem Besuch in Wien hält man natürlich immer Ausschau nach Konzerten und checkt alle möglichen Kulturkalender und Litfasssäulen. Beim Wiener Konzerthaus kann man sich eigentlich jeden Tag sicher sein, dass irgendetwas Spannendes in einem der Säle passiert und manchmal ist es auch ein halbes Dutzend Konzerte, die das Haus mit Musik füllen – das mitzunehmen ist allerdings kaum möglich, weil natürlich einiges auch gleichzeitig stattfindet.

Doch die Ankündigung von Luisa Imorde und Thomas Adès lockte mich zumindest am Mittwoch in gleich zwei Konzerte. Beide sind für Überraschungen gut und lassen die Zuhörer neugierig das Ohr spitzen. Schwere alte Klassik war gestern. Die Pianistin Luisa Imorde versteht es, alte und neue Meister geschickt miteinander zu paaren und hat keinerlei Berührungsängste mit großformatigen zeitgenössischen Klavierkonzerten. Thomas Adès wiederum überrascht als Komponist eigentlich in jedem neuen Werk, das sich kaum in eine Schubladen-Moderne einordnen will und dennoch in der Geste und Tiefe berührt.

Luisa Imorde, Foto: Julia Wesely

High noon – halb eins in Wien also, Schubert-Saal im Konzerthaus. Das Mittwochmittagkonzert ist immer eine Lesung mit Musik und widmet sich in dieser Saison amerikanischen Autor:innen. Carson McCullers zählt man zwar zur Weltliteratur, doch stolpert man hierzulande selten über ihre Texte. Schön also, dass die „Ballade vom traurigen Café“ hier einmal bekannt gemacht wurde – Burgschauspieler Markus Meyer war kurzfristig eingesprungen und hielt die Spannung bis zum tatsächlich ausweglos traurigen Schluss.

Luisa Imorde am Bösendorfer-Flügel hatte für die Intermezzi Musik von Johann Sebastian Bach und Nikolaj Kapustin (1937-2020) ausgewählt – die beiden hatte sie auch auf ihrer letzten CD gegenübergestellt. Das nächste Album erscheint im Mai und stellt – man staune erneut – Couperin und Messiaen vor! Kapustin wie auch Bach näherte sie sich mit einem ernsthaften Respekt, der aber nicht in die Distanz führte, wobei für viele Zuhörer:innen Kapustins komplexe Stücke, die zwischen Jazz und Klassik wandeln, immer aber charaktervollen Ideenreichtum offenbaren, eine Neuentdeckung war. Und so bekam dieser Mittag eine spannende Atmosphäre, bei der weder Musik noch Literatur sich in den Vordergrund drängelten, sondern sich beides zu einem Ganzen verband.

Dinner-Time, halb acht in Wien, Kleine Nachtmusik? Nein danke, sagt Thomas Adès. Der 1971 geborene Komponist macht mit schillernder Orchestermusik und Konzerten auf sich aufmerksam, und seine Affinität zum Theater ist ebenfalls den Stücken eingeschrieben. Für die Konzerthaus-Premiere seines 2013 entstandenen Kantaten-Werks „Totentanz“ für Sopran, Bariton und großes Orchester mit den Wiener Philharmonikern stellte der dirigierende Komponist zwei perfekt die Thematik ergänzende Werke voran – Alban Bergs Orchesterstücke Opus 6 und „La Valse“ von Maurice Ravel. Adès bat zum Tanz, mit voller Orchesterbesetzung und schonungslosem Fortissimo, aber das muss sowohl der Walzerweltuntergang von Ravel vertragen als auch Bergs immer noch utopisch anmutende Orchestermusik.

Die Wiener Philharmoniker bieten das erschreckend präzise an, sogar wenn Adès sich mit den Armen hier und da in Rubati ergeht, die noch ein bisschen über Alban Bergs ohnehin topographisch schwankende Partitur hinausgehen. Selbst die pizzicati in den geteilten Streichern sitzen auf dem Punkt, – mitten in einer musikalischen Handbremse, die zum nächsten Höhepunkt ausholt. Getanzt wird hier auch schon fleißig, nur der erste Satz ist von Adès fast ein bisschen zu liebevoll in Szene gesetzt und stockt ein wenig. Diese fast dokumentarisch ausstellende Art behält Adès auch für Ravel bei, wobei a bisserl Rausch dem Stück ja doch gutgetan hätte.

Der Höhepunkt aber wartete ja noch, denn mit der Totentanz-Vertonung ist Adès tatsächlich ein Wurf gelungen. Die Thematik berührt unmittelbar und man ist irgendwo hineingeworfen in ein Tableau, das sich anfühlt, als wäre es genau zwischen dem Mahlers „Lied von der Erde“ (in der Abschieds-Todes-Emphase) und Bartóks „Blaubarts Burg“ (im Dialog des Todes mit einer zweiten Person) platziert. Doch Adès findet eine eigene Dramaturgie und vor allem fantastische Klangentwicklungen für das „Unsägliche“, was der Tod – in persona des mächtigen Baritons Mark Stone – uns hier auftischt. Die niederländische Sopranistin Christiane Stotijn, die das Werk auch 2014 mit uraufführte, ist für die Reaktionen der angesprochenen Personen zuständig und verkörpert Bauer, Ritter, Papst und Mädchen in beinahe grenzenloser Hingabe.

Das tatsächlich ‚morbid‘ im Tanz endende Stück rief lautstarke Bravi für Orchester, Solisten und besonders auch für den Komponisten hervor. Adès zeigte sich am Pult erschöpft und glücklich, während die Philharmoniker nach dieser gewaltigen Klangorgie, die sich „Konzert“ nannte, fast entspannt in die Runde schauten: „Wir können noch“. Ja, dann bitte mehr von solchen emotional mitreißenden Programmen.

Fotonachweis in den Bildbeschreibungen, Titelfoto: Alexander Keuk

CD Tipps:

Luisa Imorde: Moon Rainbow
Klavierwerke von Johann Sebastian Bach und Nikolaj Kapustin

Berlin Classics (2020)

 

 

Adès conducts Adès
Klavierkonzert (mit Kirill Gerstein am Klavier), Totentanz (mit Christiane Stotijn und Mark Stone)
Boston Symphony Orchestra, Thomas Adès
Deutsche Grammophon, erschienen 2020

 

 

 

 


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Veröffentlicht in Rezensionen Wien

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