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Ein Tanker fliegt gen Himmel

Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast

Stellen Sie sich vor, Sie wachen auf und direkt vor ihnen erhebt sich ein riesiger Tanker aus dem Meer hinauf in den Himmel. Gut, das war tatsächlich nur ein Traum, aber dazu fielen dem US-amerikanischen Komponisten John Adams 1985 ebenso gigantische Klänge ein, die das eigentlich Unvorstellbare dieser Vision zumindest akustisch erlebbar machen. Heute ist sein dreisätziges Orchesterwerk „Harmonielehre“ schon fast ein Klassiker des 20. Jahrhunderts im Konzertsaal. Und da die Dresdner auf ein anderes Meisterwerk – „Le Sacre du Printemps“ von Igor Strawinsky – neulich erst verzichten mussten, war man gespannt, ob nun diese Aufführung mit ebenfalls großem Orchester wie geplant im Kulturpalast vonstatten gehen konnte.

Cristian Macelaru bei der Dresdner Philharmonie

Es klappte, und das obendrein in einer einzigartigen, mitreißenden Interpretation, die maßgeblich vom rumänischen Gastdirigenten Cristian Măcelaru getragen wurde. Der Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters Köln sowie des Orchestre National de France ist ein gern gesehener Gast bei der Dresdner Philharmonie und das am Sonnabend präsentierte rein amerikanische Programm lag ihm offenbar besonders. Mit Samuel Barber und Aaron Copland wurden zwei weitere wichtige Komponisten der jüngeren Zeit vorgestellt, die beide gerne genannt werden, wenn es um einen nationalen amerikanischen Stil in der klassischen Musik geht, trotzdem blieben sie wie viele andere doch Individualisten. Barbers hochexpressive Frühwerke werden selten aufgeführt – endlich einmal konnte man seine Ballettmusik „Medeas Meditation und Rachetanz“ hören, die an die französischen Ballets Russes erinnert, aber erst 1946 für die Tanzcompagnie von Martha Graham entstand.

Daniel Hochstöger, Cristian Macelaru

Măcelaru legte die flächigen Klänge der „Meditation“ als klaren Kontrast zum Rachetanz im 2. Teil an und  konnte hier darauf bauen, dass das Orchester mit gutem Zuhören die kleinen Motive ineinander verzahnte. Im zweiten Teil gerät die Musik wie die titelgebende Figur regelrecht außer sich, und es war spannend nachzuverfolgen, wie Măcelaru diese Wildheit im Orchester anlegte. Ein kompletter Kontrollverlust ist angesichts der schwierigen Partitur eher unangebracht und dennoch gelang eine spritzige, klangstarke Interpretation, die als passendes Präludium zu John Adams schonmal die Sinne spitzte.

Vor Adams gab es eine kammermusikalische Beruhigung – Aaron Coplands Klarinettenkonzert ist nur mit Streichern, Harfe und Klavier besetzt. Wieder einmal durfte sich das Publikum davon überzeugen, wie exzellent die Philharmoniker auch solistisch unterwegs sind: Daniel Hochstöger ist seit 2019 Solo-Klarinettist der Philharmonie und hatte sich ausgerechnet dieses wahrlich nicht einfache Werk ausgesucht. Die unterschiedliche Charakteristik beider Sätze zwischen großem Klangstrom und leichter „jazzlike“-Virtuosiät meisterte er souverän und vor allem mit einem interessanten, ganz eigenen Klarinettenton. Dabei sorgte Măcelaru für eine schöne Balance mit dem Orchester und so rundete sich diese Aufführung bis zum großen Glissando der Gershwin-Hommage in den Schlusstakten.

Volle Besetzung für Adams‘ „Harmonielehre“

Balance war auch das Zauberwort für Adams große Phantasiewelt im 2. Teil des Konzerts. Die „Harmonielehre“ ist ein hochvirtuoses, alle Kräfte forderndes Orchesterwerk, in deren bewegten Schichten man sich hörend völlig verlieren kann. Dafür muss sich aber jede Orchestergruppe um ihre wichtige Aufgabe im Geflecht bewusst sein. Hier zeigte sich einmal mehr die Klasse der Dresdner Philharmonie, die sich gerade auch in den vergangenen anstrengenden beiden Jahren ihre eigenen Qualitäten im Exerzitium bewahrt hat – das Miteinander im großen Apparat führte hier unter der absolut vertrauensbildenden Dirigierhand von Cristian Măcelaru zu einer beeindruckenden Aufführung. Seine Ruhe und Präzision in einer wahrlich üppigen und rhythmisch wie harmonisch hochkomplexen Partitur war Garant für eine Durchhörbarkeit der Sätze, die nicht selbstverständlich ist.

Mit großem und herzlichen Applaus zeigte das Dresdner Publikum am Ende des Konzerts, dass es auch weiterhin der am Beginn verliehenen Auszeichnung des concerti-Wettbewerbs zum „Publikum des Jahres“ (der Preis wurde für das Jahr 2020 vergeben) würdig ist. Die damit verbundene finanzielle Zuwendung wird für die Nachwuchsarbeit bei der Dresdner Philharmonie verwendet. Eine Bitte am Ende: nicht nur, um auch 2022 wieder Publikum des Jahres zu werden, sondern um endlich wieder solch erstklassig aufgeführte Musik live zu genießen, sollte eben dieses Publikum bald wieder zur Normalität und zum kulturellen Durst zurück finden und in großen Scharen in den Kulturpalast pilgern – nicht nur für die Befriedigung der Musiker, sondern auch für den eigenen, wertvollen Hochgenuss.

Fotos (c) Oliver Killig


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