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Fundamentlos

Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra gastierten im Kulturpalast

Dass der Kulturpalastsaal in Dresden nun doch einmal fast voll war, lag an dem großen Interesse, was das Publikum dem neuen, kleinen und feinen September-Festival der Dresdner Musikfestspiele entgegenbrachte. Mit dem Festival gelang es, die derzeit in Europa tourenden amerikanischen Orchester zu einem musikalischen Verweilen in den hervorragenden Saal in den Dresden zu überreden. Dessen akustische Qualitäten haben sich längst herumgesprochen, und auch der kanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin zeigte sich bei einer kurzen Ansprache nach dem Konzert des Philadelphia Orchestra, dem er in der 10. Saison vorsteht, hocherfreut.

Lisa Batiashvili (Violine) und das Philadelphia Orchestra unter Dirigent Yannick Nézet-Séguin

Zuvor hatte er am Freitagabend mit seinen Musikern aus Philadelphia ein abwechslungsreiches Programm dargeboten. Dass man allerdings zwanzig Minuten vorher im Saal schon einer Kakophonie aus übenden Musikern gegenübersteht, ist eine Unart, die einem den Konzertbeginn etwas vergällt, denn so ist das Ohr schon unter Stress gesetzt, kaum dass die tatsächliche Musik begonnen hat. Auch den Musikern scheint das nicht gut zu tun – der Beginn des 1. Violinkonzertes des polnischen Komponisten Karol Szymanowski geriet in schnellen Notenwerten sehr undeutlich, und erst als die Solistin, die georgischstämmige deutsche Violinistin Lisa Batiashvili, das Zepter übernahm, wurde die Konzentration im Orchester schlagartig besser und Nézet-Séguin musizierte mit ihr auf Augen- und natürlich Pulshöhe.

The Philadelphia Orchestra im Kulturpalast Dresden

So konnten die zahlreichen Farbschattierungen dieser impressionistischen Musik gut zur Geltung kommen und auch in den manchmal abrupt endenden Steigerungen waren Solistin und Orchester gut zusammen, wobei sich das Temperament der Geigerin, die hier hervorragend tragende, silbrige Klänge in den hohen Lagen in den Saal schickte, nicht ganz auf das brav folgende Orchester übertrug. Im folgenden „Poème“ Op. 25 für Violine und Orchester von Ernest Chausson zeigten die Streicher des amerikanischen Ensembles einen feinen, zurückgenommenen Klang, doch für das Schwelgen und tiefe Gestalten war Batiashvili auch hier in der Führungsposition. Innig gelang die kleine Debussy-Zugabe, bei welcher der Dirigent am Klavier Platz nahm, und hier zeigte die Solistin noch eine gedämpfte, kaum weniger traumhafte Klangfarbe ihrer Geige. Es war beeindruckend, wie sie die unterschiedlichen Aufgaben der Kompositionen mit ganz eigener Handschrift und leidenschaftlicher Hingabe meisterte, nachzuhören sind alle drei Stücke auch in dieser Besetzung auf ihrer neuen CD mit dem etwas kryptischen Titel „Secret Love Letters“.

Nach der Pause hatte das Philadelphia Orchestra dann Gelegenheit, ganz alleine zu brillieren. Dabei liegen die Qualitäten von Antonín Dvořáks 7. Sinfonie d-Moll nicht so offenherzig an der Oberfläche wie bei anderen beliebten Sinfonien. Was dieser Interpretation in allen vier Sätzen fehlte, war ein ruhiger Atem, der auch die Musik zum Hörer zu tragen vermag. Nézet-Séguin ließ die Satzpausen völlig fallen, so dass man nicht einmal die Chance zum kurzen Nachklang hatte, und auch innerhalb der Sätze bevorzugte er ein glattes, flüssiges Durchmusizieren, bei dem das Philadelphia Orchestra vor allem durch präzise Folgsamkeit und makelloses Spiel auffiel.

Durch Nézet-Séguins oft übertriebene, kaum Fundament und Ruhe vermittelnde Körpersprache gelangte die Musik nicht in eine Tiefe, in der man Dvořák eigentlich verortet. Dieses Überfliegen der Sinfonie nahm dann im 4. Satz durch Beschleunigung und Steigerungskraft noch grobere Züge an, die einzige Pracht eines warmen Tuttiklangs war für die Schlussakkorde reserviert. Damit gab das vom Publikum dennoch gefeierte Gastspiel ein einigermaßen verstörendes Bild ab, denn auch den Musikern konnte man eine Müdigkeit ansehen, was zwar durch professionelles Spiel verdeckt wurde, aber den Stücken und dem eigentlichen Ruf des Orchesters diesmal nicht gerecht wurde.

Fotos (3): © Oliver Killig

 


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