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Strömende Kräfte

Saisoneröffnung der Sächsischen Staatskapelle Dresden

In der nahezu ausverkauften Semperoper leitete Christian Thielemann am Sonntagvormittag das Eröffnungskonzert der neuen Saison der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Mit der Wahl von Anton Bruckners 1876 entstandener 5. Sinfonie B-Dur waren sicher keine Experimente gefragt, doch leichtfüßig kommt diese Partitur nicht daher. Ohne eine sinnvoll strukturierte Interpretation kann man da leicht beim Zuhören in harmonische Stromschnellen geraten, aus dem einem der Komponist schwerlich heraushilft, wenn er im Finale auch noch eine Doppelfuge über drei Themen zündet. Doch Thielemann und die Staatskapelle Dresden wissen mit Bruckners Sinfonien durch die über eine Dekade währende gemeinsame Erfahrung hervorragend umzugehen, mehr noch: es ist nunmehr tatsächlich einzigartig, was sich hier an subtiler sinfonischer Klangarbeit über achtzig Minuten entfaltet.

Denn die Zauberei beginnt in den ersten Takten, im ruhigen Puls der Pizzicati und dem antwortenden Tutti. Schon da offenbart Thielemann eine forschend-liebevolle Haltung zu dieser Sinfonie, die den Kontrapunkt-Koloss der Fünften komplett neu vor dem Ohr entstehen läßt: „Schaut doch mal!“ – diese Takt für Takt immer weitergeführte Haltung ist eine Hingabe, die in der Gleichzeitigkeit mit flexiblen Tempi und dem Zuhören auf das, was die Staatskapelle da mit den Instrumenten formuliert, Großartiges entstehen läßt. Das Allegro im ersten Satz bleibt moderat, aber damit bleibt es gestaltbar und die Kontraste lassen sich nebeneinander stellen. Thielemanns sehr exaktes Tempo am Schluss dieses ersten Satzes rundet das Ganze: das wirkt grandios, jedoch hebt sich der Thielemann die endgültige Kraftströmung wirklich für den vierten Satz auf.

Dass Bruckner hier gleich drei Sätze sehr ähnlich beginnt, ist nicht aus Ideenlosigkeit entstanden, sondern entspricht dem kongenialen Konzept der Verbindung der Elemente bis in kleinste synkopische Finessen, die die Kapellisten auf sehr natürliche Weise phrasieren. Sogar die im Musikunterricht immer als ‚leeres‘ Intervall übergangene Oktave bekommt nun Bedeutung und ist jedesmal farblich anders ausgeleuchtet. Man darf auch einmal wieder betonen, dass diese Intensität in kleinsten Details keine Selbstverständlichkeit ist, was sich in dieser Sinfonie vor allem in den prächtig ausgehörten Blechbläsersätzen und –chorälen oder im fantastisch klingenden Hornsatz gerade auch in nur nebensächlich wirkenden Aufgaben wie einem Achtelpuls zeigt.

Im Adagio überzeugt Thielemann mit effizientem Steigerungsaufbau, und selbst ein fortissimo in diesem Satz hat immer noch Nuancen, damit noch die berühmte „Schüppe obendrauf“ gelegt werden kann. Das Scherzo nimmt Thielemann nur vom Eingangsmotiv her sehr schnell, auch hier steht Variation und Verwandlung der Klangfarbe im Vordergrund. Schließlich ist das Finale nicht nur Bruckners Meisterstück, sondern auch der angesteuerte Zielpunkt in der Interpretation. Wieder scheint die Sinfonie mit den bekannten Pizzicati von Neuem zu beginnen, doch nun schichtet Bruckner alles, was schon auf seinen Partiturblättern steht, kunstvoll übereinander und ineinander.

Man gerät in einen faszinierenden Sog, weil die Sächsische Staatskapelle es schafft, die Fünfte von den ersten vorsichtig tastenden Tönen bis zur kraftstrotzenden Apotheose am Schluss in allen Instrumentalgruppen spannend zu halten. Und wenn Thielemann da kurz einmal mit der linken Hand ein piano regelrecht zu Boden wedelt, weiß man, dass es tatsächlich noch eine Ressource für einen besonderen Klang gibt. In die Stille nach dem Schlussakkord fiepte leider ein Smartphone, das gottlob von bald donnerndem Applaus erstickt wurde. Der wollte dann auch samt Bravo-Rufen für Orchester und Dirigent kein Ende nehmen. Dass die Saisoneröffnung der Staatskapelle Dresden nicht vom Rundfunk wahrgenommen wurde, ist einigermaßen irritierend. Immerhin haben die Musikfreunde in Mailand, Linz und Wien noch Gelegenheit zum Zuhören, denn das Orchester begibt sich mit der Bruckner-Sinfonie und Werken von Beethoven bis zum 14.9. auf eine Europa-Tournee.

Fotos © markenfotografie

 


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