In Wien gelingt zu den Saisoneröffnungen der Theater und Konzerthäuser der nahtlose Übergang, da auch im Sommer trotz der Schließungen der großen Häuser fleißig gespielt wird – der Kultursommer Wien macht’s möglich, ebenso einige Sommerevents wie das popfest oder Großkonzerte wie das der Rolling Stones zum 60jährigen Bestehen ihroselbst im Ernst-Happel-Stadion. Und das ist alles wieder live, in Farbe und „Präsenz“ von Künstlern und Publikum möglich, die dunkle, stille Zeit der Pandemie haben wir hinter uns gelassen, und diese hoffnungsvolle Erleichterung spürt man auch bei den Veranstaltungen deutlich. In Abständen werde ich immer wieder hier von der Kultur- oder Konzertwoche in Wien berichten, wobei sich die Genres vermischen. So auch diese Woche mit Operette, Kunstmesse und Popfestival, bunter geht es eigentlich nicht.
Volksoper, Staatsoper und Theater an der Wien laufen bereits im Vollbetrieb und schütten ihre ersten Premieren aus. Nach dem fröhlichen Saisonauftakt in der Volksoper dort gab es Carl Millöckers „Die Dubarry“ als erste Neuproduktion, mit Stars wie Annette Dasch und Harald Schmidt – habe ich aber einen Klassiker besucht, nämlich „Die Fledermaus“, das Wiener Tafelsilber sozusagen. Ich habe keine Scham zu gestehen, dass es meine erste Aufführung dieser Operette überhaupt war. Viele werde ich vermutlich auch nicht mehr freiwillig ansehen, trotz der mutwilligen Unterhaltungsambitionen dieser Inszenierung (Carsten Süss). Natürlich – „das Leben draußen ist schon ernst genug“, aber die Sauf-Klamotte nach Ansage war trotz einiger herausragender schauspielerischer und sängerischer Darbietungen (Hedwig Ritter als Adele singt phänomenal) nicht nach meinem Geschmack. „Einlagen“ gehören eben in die Schuhe und nicht (mehr) in die Oper, und ebensowenig Freude macht ein Text, der irgendwie gegenwärtig, samt des über halbstündigen, mehr die Wiener angehenden Frosch-Monologs, aufgepeppt werden muss, aber eben so verstaubt wirkt wie das ganze Vorhang-Sofa-Ambiente auf der Bühne. Dass der Comedy-Spuk mit zwei Pausen in der Volksoper dreieinhalb Stunden dauert, ist angesichts der Leere des Stoffs nicht zu vermitteln, irgendwann hatte ich schlicht genug, der Restbesoffenheit eines Gefängnisdirektors meine Aufmerksamkeit zu widmen.
Am Donnerstag dann Weltenwechsel. Ich bereue mittlerweile zutiefst, mir nur den ersten Tag von Waves Vienna, einer „Festival-Wundertüte“ (fm4) für feine Alternative, Indie- und ja, auch Popmusik gegeben zu haben. Meine Strategie nach einem Überblick über das schier platzende Line-Up war, in einige Acts über die gängigen Portale reinzuhören und mir danach einen Fahrplan zu erstellen. Dabei kam der Donnerstag mit meinen Favoriten am meisten in Frage. Dass Wien auch in diesem Musikgenre voller feiner Überraschungen steckt, hatte ich ja schon am popfest 2022 festgestellt, wo ich in der Karlskirche bei der mir bis dato unbekannten Sophia Blenda einen herausragenden Konzertabend verbrachte. Sie ist übrigens in der Volksoper am 17.9. zu ihrem Album-Release erneut zu hören.
Beim auch in der Orga professionellen und vom wirklich interessierten und mitgehenden Publikum her sympathischen Waves Vienna durfte ich dann als Neu-Wiener nicht nur einige interessante Locations wie das The Loft und das Weberknecht kennenlernen (das WUK ist eh schon mein halbes Wohnzimmer geworden, wenn ich in der Nähe unterwegs bin), sondern auch einen spannenden Konzertabend, der mit einem sehr überzeugenden Restgig von Monako begann (ich kam zu spät) und sich dann mit den sphärischen Damen namens Musspell aus Rumänien fortsetzte. Berglind wiederum war nicht ganz meine Musik, außerdem trieften mir die eigentlich zur Musik in dieser Brachialgewalt gar nicht passenden Bässe schon beim Reingehen derart entgegen, dass ich mich fehlgeleitet fühlte.
Also rüber ins WUK, wo ich die intensive Performance von Farce genoss, in deren Tüfteleien man sich einige Lieder reinhören muss, dann aber wirklich mit Eigenheit und Tiefe belohnt wird – der an sie verliehene XA Award unterstreicht meinen Eindruck. Zur eingängigen Popmusik von Lisa Pac ging das Publikum ziemlich ab, ich hatte dann aber am meisten Spaß mit der Schweizerin Priya Ragu, deren erfrischende Performance irgendwo zwischen R’n’B und tamilischem Frohsinn pendelte, aber auch melancholische Töne anbot. Kraftvoll reißt Priya, die erst kürzlich ihr Leben komplett auf die Musik umkrempelte, ihr Publikum mit, die Songs sind anspruchsvoll und super gesungen, aber sie vergisst auch nicht, das Publikum mitgrooven zu lassen.
Erkenntnis: besser beim Waves alle drei Tage mitnehmen, was geht, auch wenn irgendwann die Ohren klingeln. Es sind einfach zu viele tolle Bands mit handmade Herzblut dabei – see you 2023.
Nach so viel Ohrenstaunen waren am Freitag die Augen gefragt – ich machte mich auf zur Kunstmesse Parallel Vienna, die es schon seit 2013 gibt. Wien ist natürlich nicht nur Kunststadt, sondern auch Galerie- und Kunstmessestadt, die Vienna Contemporary und curated by (letztere noch bis 8.10.) fanden gleichzeitig statt, die Art Vienna und einige mehr folgen noch. Parallel Vienna hat sich als stetig wachsender und alternativer Kunstevent etabliert und findet an wechselnden Orten statt, dieses Jahr in der seit einigen Jahren stillgelegten Semmelweis-Frauenklinik in Währing.
In zwei großen Klinikhäusern findet man auf insgesamt acht Etagen (plus Skulpturenpark) Kunst satt, und zwar sowohl nationale Kunst aus den Bundesländern wie auch Internationales und Kunst aus den Hochschulen. Man kommt schnell ins Gespräch und läßt sich gern überwältigen, wobei für die Künstlerinnen und Künstler wohl auch die stillgelegte Frauenklinik eine Herausforderung bildete – manches ist explizit für den Ort entstanden, in anderen, zugeteilten Räumen zwängt sich Kunst, erst recht, wenn eine Galerie gleich zwanzig Positionen auf engstem Raum zeigen will, in manchmal unzulänglichen Bedingungen. Das ist wohl der Kompromiss, wenn man die ganze Breite anbieten will, aber trotzdem alternativ wirken, aber vielleicht kamen auch manche Galerien schlicht mit den Räumlichkeiten nicht klar. Vielleicht ist doch weniger mehr?
Nach rund vier Stunden und etlichen zurückgelegten Kilometern in den Gängen war dann auch der visuelle Overflow erreicht. Und was ich hier einzeln erwähne, ist so subjektiv wie selektiv. Lustigerweise blieb ich am längsten in einem Raum mit einer der an einer Hand abzuzählenden Soundinstallationen der Messe: „A Rogue“ von Nayari Castillo und Hanns Holger Rutz befand sich in einem bunten Sammelsurium des Landes Steiermark, stach für mich aber durch den Minimalismus der bespielten Schrankwand durch zwei Glasscheiben hervor und beschäftigte sich akustisch-musikalisch via Bewegungsmelder mit dem Raum und seinen Besuchern.
Flavia Mazzantis ausgeklügelte Laserausbelichtungen „Sympoeitic Bodies“ waren ein spannender, vielleicht auch einzigartig moderner Kontrapunkt zu vielen doch beliebigen Installationen und Malereien, ihre digitale Raumerkundung wirkte allerdings fast mehr wissenschaftlich als künstlerisch.
Bei Barbara Filips urbanen Phantastereien „concrete paradise“ (siehe Website) blieb ich ebenfalls länger, weil ich ähnliche Räume auch aus eigenen Träumen kenne. Max Freund sagte mir in seiner Mal-Ästhetik sehr zu und ein überraschend sinnlich wie gleichzeitig verstörend gestalteter Raum („Oasis“) kam von Katalin Kortmann-Járay und Karina Mendreczky. Dann gab es noch einen Raum mit einem Video und Zeichnungen, der mich auf Anhieb in einen Ruhezustand versetzte, was in der Auflösung dann kein Wunder war – die Münchner Künstlerin Mariella Kerscher arbeitet mit 3D-Drucken einer Placenta.
Und als Fan inszenierter Bilder wie die eines Gregory Crewdson blieb ich auch bei Michi Lukas und Katharina Kostroubina hängen, deren mystischer Raum mit „safe places“ und „harmoonies“ einen sicheren Platz nur vortäuschte, dabei aber den berühmten Kloß im Hals wachwerden ließ. Das hier im Artikel erwähnte ist aber wirklich nur ein Mini-Ausschnitt aus einem riesigen, bunten Angebot, ich hoffe, dass ich einige der Künstlerinnen und Künstler in anderem Kontext wieder treffe.
Zum Sonntag ging es dann wieder in klassische Gefilde, denn die Sächsische Staatskapelle gastierte mit zwei Konzerten in Wien, das passte zwar noch in die Woche, aber nicht mehr in diesen Beitrag.
Fotos (c) Alexander Keuk, Volksoper Wien, Titelbild: farce im WUK foyer
Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 Rezensionen, Interviews, Reiseberichte und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser*in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende unterstützen wollen, freue ich mich sehr
Ich muss schon sagen, die Bilder machen Lust auf mehr;)