Während in Dresden das Gustav-Mahler-Jugendorchester traditionell die Glocke zum Saisonbeginn bei der Staatskapelle Dresden zu läutet, haben die Kapellisten diesmal selbst an anderem Ort diese Aufgabe übernommen, und das gleich in doppelter Funktion. Am Sonntag und Montag starteten sie während ihrer kleinen Europa-Tournee mit einem Gastspielkonzert sowohl die nunmehr 110. Saison im Wiener Konzerthaus, als auch die im Musikverein Wien.
Für das Konzerthaus, in dem sich Intendant Matthias Naske auch angesichts 306 musikloser Tage während der Pandemie eines vollen Hauses am Sonntagabend versichern konnte, hatten die Dresdner Anton Bruckners 5. Sinfonie B-Dur mitgebracht, die kurz zuvor schon in der Semperoper Dresden als 1. Sinfoniekonzert gegeben wurde.
Deutlich zu spüren war die Freude des Orchesters, dass Touren dieser Art endlich wieder möglich sind, schließlich schärfen die Reisen ja nicht nur das soziale Miteinander, sondern auch die feinfühligen Musikerantennen werden in den verschiedenen Sälen mit oft gleichen Programmen gefordert. Und nicht selten wächst ein so großes Werk wie eine Bruckner-Sinfonie eben auch erst nach mehreren „Läufen“ wundersam zusammen.
Mit dem Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle unterwegs zu sein, heißt auch, das jeweilige Optimum bieten zu können, denn die Wiener Gefilde kennt Thielemann natürlich bestens. So hatte die Bruckner-Sinfonie zwar die gleiche Übersicht und spannungsmäßige Anlage wie in Dresden, doch in der Balance im Klang gab es Aufgaben, die das Orchester hervorragend bewältigte. Vielleicht hätte hier und da in den ersten beiden Sätzen der Streicherklang noch etwas saftiger klingen dürfen, aber die Intensität und analytische Übersicht der vielen Motive und Kontrapunkte, die Thielemann vor allem im letzten Satz immer wieder mit Bedacht und Konzentration erzeugte, war frappierend.
Im Musikverein standen dann am Montag zwei Beethoven-Sinfonien auf dem Programm. Dieses Konzert markierte gleichzeitig den Beginn eines Zyklus mit Christian Thielemann am Haus – dabei übernehmen die Dresdner (die im Juni 2023 zurückkehren werden) drei Konzerte, die Wiener Philharmoniker eines (Bruckners 8. Sinfonie am 23. Februar 2023).
In der 8. Sinfonie F-Dur von Ludwig van Beethoven zeigten die Dresdner eine filigrane Lesart, die zwar die Facetten der Komposition klangschön offenlegte, aber im Tempobereich in eher moderaten Welten unterwegs war und sich zu oft in kleine Verliebtheiten erging. Vielleicht war dies mit Absicht auf den zweiten Konzertteil geschehen, die Siebte war dann um einiges lockerer musiziert, und in den Mittelsätzen zauberten die Dresdner erneut innige und homogene Klangwelten hervor. Großer Beifall verabschiedete die Dresdner Staatskapelle, wobei einzelne Claqeure ein ziemliches Theater inszenierten, das nicht mehr der Musik galt, sondern dem Dirigenten – das kennt man aber in Wien schon, und Thielemann macht den Spaß gerne mit.
- heute abend ist die Sächsische Staatskapelle Dresden im Brucknerhaus Linz zu hören.
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