Zum Inhalt springen →

Wohltönendes Überdiesträngeschlagen

15 Jahre AuditivVokal Dresden

Im Jahr 2007 gründete Olaf Katzer in Dresden das Ensemble „AuditivVokal Dresden„, das sich schnell in der Stadt wie überregional einen Namen gemacht hat. Heute ist das mit umfangreichen Aktivitäten und zahllosen Uraufführungen hervortretende Ensemble aus der Musiklandschaft Dresdens nicht mehr wegzudenken.

Wenn man über Beständigkeit redet, dann ist damit oft die Bewahrung alter Traditionen und Bräuche gemeint. Wird aber das Neue, gar die Neu-Gier im Wortsinne bewahrt, so ist dies meist ein dynamischer Prozess, der eben auch Neues gebiert und sich ständige, bereichernde Verwandlung und Entwicklung auf die Fahnen schreibt. Damit ist erklärbar, dass das Ensemble AuditivVokal Dresden in diesem Jahr schon seinen 15. Geburtstag begeht. Die Notwendigkeit des Neuen in der Musik ist bei diesem Vokalensemble eine gelebte Selbstverständlichkeit. Es ist quasi der auditive Blutpuls, der mit jedem neuen Werk genährt wird und einen Baustein zu einer besonderen Arbeit an der Kunst der Gegenwart hinzufügt. Und natürlich stehen da die Komponistinnen und Komponisten und ihre im vokalen Kontext und zumeist exklusiv für das Ensemble entstandenen Stücke im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Der Gründer und Leiter von AuditivVokal Dresden, Olaf Katzer, kann heute auf etwa 180 Uraufführungen zurückblicken – eine riesige Zahl, die um so erstaunlicher wirkt, wenn man betrachtet, mit wieviel individuellem (und stets liebevollem) Aufwand und Engagement solche Stücke bei den Auditiven realisiert werden.

Denn bei weitem beschränkt sich die Arbeit des Ensembles nicht nur auf die Einstudierung und Aufführung, sondern bereits im Prozess der Entstehung werden die Komponisten eingeladen und vokale Techniken ebenso wie räumlich-szenische Möglichkeiten durchgespielt und ausgetestet. Oftmals erspüren die Sängerinnen und Sänger dabei ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten: Gesang ist eben ein aus und mit dem Körper gestaltetes Instrument, das im klassischen Sinn zwar in ganz bestimmter und bekannter Weise bespielt werden kann, aber die heutigen Möglichkeiten gehen weit darüber hinaus.

An dieser Stelle ist die Kompetenz und charakteristische Einzigartigkeit der Sängerinnen und Sänger mit ihrer Stimme und mehr noch – ihrer ganzen Persönlichkeit, unbedingt zu erwähnen. Auch das Ausprobieren und Experimentieren, ja selbst der Umgang mit Wahn, Wahn-Sinn oder Humor kann professionelle und gleichzeitig leidenschaftliche Formen anehmen, so dass Olaf Katzer neben den reinen Aufführungen der Vokalmusik auch einen Ensemblephilosophen (Friedrich Hausen) und neuerdings eine Psychologin (Maja Dshemuchadse) die Arbeit betrachten und diskutieren läßt. Dahinter steht auch ein tiefes Interesse an der gelebten, musikalisch und mit der Stimme ausgedrückten Gegenwart innerhalb der Kunst, ihren Möglichkeiten und (An-)Forderungen ebenso wie die interpretatorische Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen.

Forschungsprojekte wie das Dokumentationszentrum „Neue Dresdner Vokalschule“ in Zusammenarbeit mit der SLUB Dresden sind ebenso wertvolle Bausteine wie die stetige Kooperation mit Partnern, die ähnlich „Neues“ im Sinn haben, wie etwa das Institut für Neue Musik an der Hochschule für Musik Dresden oder das Europäische Zentrum der Künste Hellerau. Die regionale Verwurzelung von AuditivVokal Dresden ist für Olaf Katzer nicht nur Bekenntnis zu den künstlerischen Potenzialen der Stadt, sondern kann auch Auslösung von Innovation sein – so dürfte AuditivVokal das Ensemble in Dresden sein, das in den letzten Jahren die meisten Konzertorte in der Stadt bespielt hat, was eben auch das Publikum stetig erweitert.

ein Höhepunkt auditiver Arbeit: die postume Uraufführung von Paul-Heinz Dittrichs „Memento Mori – Todesfuge“ nach Paul Celan im Festspielhaus Hellerau (2021)

Zudem bietet die auditive Basis an der Könneritzstraße quasi das Amalgam des Neuen als öffentlichen Kunst-Ort. Bei so viel Neuem hat AuditivVokal Dresden auch immer die (vokale) Musikgeschichte nach ihrem Platz innerhalb des Zeitgenössischen befragt. So tauchen in den Programmen immer wieder Werke aus der Renaissance und aus dem Barock auf, aber auch Volkslieder und im jüngsten Projekt Werke mit sächsisch dialektalen Färbungen sind in der Wundertüte AuditivVokal zu finden. Das Jubiläum indes begeht das Ensemble mit stimmlicher Präsenz über das ganze Jahr hinweg in und außerhalb (etwa jüngst in Magdeburg mit „Mechthild“, einem Musiktheater von Reiko Füting) von Dresden. Gleich drei Uraufführungen gab es letzte Woche beim Heinrich Schütz Musikfest im Militärhistorischen Museum zu erleben, diese Woche ist das Ensemble mit einem chilenischen Nachklang seiner Südamerika-Reise im Leonhardi-Museum zu hören. Mit seinen 15 Jahren steckt AuditivVokal gerade mitten in der Pubertät – ein wohltönend-schräg-aufplötzlichendes Überdiesträngeschlagen ist also noch einige Zeit garantiert. Glückwunsch!

Die nächsten Konzerte mit AuditivVokal Dresden:

https://auditivvokal.de

Foto (c) Christian Hostettler

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 Rezensionen, Interviews, Reiseberichte und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser*in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

image_pdf

Veröffentlicht in Dresden Features Rezensionen

Kommentaren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert