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Im Auge des Sturms

Daniil Trifonov begeistert im Wiener Musikverein

In gewisser Weise ist ein Klavierrecital ja der einsame Gipfel des Konzertierens, niemand begleitet einen, und für alles, was man in den kommenden zwei Stunden tut, ist man vollumfänglich allein verantwortlich – im Glücksfall hat man aber ein Publikum, das einen bettet, mitzieht, die Energien zu tragen weiß. Dann gestaltet sich eine besondere, einzigartige Atmosphäre.

Und so etwas geschah phasenweise auch gestern im Goldenen Saal des Musikvereins in Wien, einem Saal, dem man eigentlich solche Intimität nicht zutraut, doch der russische Pianist Daniil Trifonov schaffte schon mit seinem ersten Stück den Saal in seinen Bann zu ziehen. Und relativ schnell liegen einem beim Zuhören Worte auf der Zunge, die eher der abschließenden Skrjabin-Sonate zuzuordnen wären: „mystique“, „avec douceur“ – in der Ausdruckspalette an den Tasten des Bösendorfer-Flügels vor ihm findet Trifonov tatsächlich für die 24 Stücke des „Kinderalbums“ Opus 39 von Peter Tschaikowsky zunächst ganz eigene Farbmischungen, die absolut treffsicher sind.

Trifonov beginnt in einer piano-Sphäre, die er selbst im fünften Stück „Marsch der Zinnsoldaten“ nur ganz vorsichtig verläßt, ein stilles Gestalten ist das, und es veredelt die Miniaturen. Spätestens mit der Mazurka an zehnter Stelle wird Trifonov offenherziger und findet spannende Farben für die Charakterstücke, bei denen die „Süße Träumerei“ noch einmal in eine Art Höhle führt, da drinnen wohnt ein pianissimo, wie es nur wenige Pianisten hervorbringen können. Ganz ruhig sitzt Trifonov da in diesen Passagen und kostet diese ferne Welt mit den Zuhörern aus.

Mit der Fantasie C-Dur Opus 17 geht es in irdischere Sphären und sie verlangt auch ganz andere körperliche und geistige Kräfte. Trifonov nutzt hier die vielschichtigen Bewegungen und Figurationen, um die leidenschaftliche Spannung zu erzeugen. Im zweiten Satz geraten die thematischen Höhepunke dann doch etwas zu groß, fast kathedralesk. Vielleicht ist es auch eine mystische Schicht, die Trifonov bei Schumann freilegen will, jenseits von gutbürgerlicher Bravheit, die dieses Werk mit seinen Übertreibungen ja durchaus auch thematisiert. Und dann ist da im dritten Satz wieder diese unerhörte Piano-Kultur, der man noch Stunden zuhören möchte – was offenbar bei den Kräften Trifonovs kein Problem wäre, denn dieser erste Konzertteil umfasste bereits siebzig Minuten.

Nach der Pause erklingt erneut eine Fantasie, vielleicht eine der schönsten und auf gewisse Weise schlichtesten überhaupt: die c-Moll-Fantasie von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Werk verlangt einen ganz anderen Klavierton, den Trifonov auch schnell findet, allein seine Interpretation gleicht hier einer Art Feldforschung, denn hier gibt es einen schmalen Grat zwischen romantischer Überausdeutung und einem flautando, wo man über dem Stück schweben würde, aber nie drin wäre. Trifonov läßt in gewisser Weise seine Deutung offen und präsentiert eine Art Bleistiftzeichnung dieser Fantasie – man erkennt alles, aber in gewisser Weise erscheint es nicht fertig, und das ist nicht mal eine Kritik: mit Mozart ist man nie fertig.

Weltenwechsel zu Maurice Ravel: Sein berühmter Zyklus „Gaspard de la nuit“ führt gleich hinaus auf’s offene Meer, und da ist Trifonov auch in seinem Element, sinkt auch körperlich in diese Wellen hinein, die bei ihm nicht mathematisch geordnet sind, sondern sich schichten, überlagern, beiseite spritzen. Es ist ein Naturbild, das sich als Konzept auch in den folgenden Sätzen fortsetzt, noch einmal die geheimnisvolle Pianissimo-Höhle öffnet und den abschließenden Dämon „Scarbo“ natürlich mit „Daniil“ unterschreibt.

Gleichsam als opulenten Nachtisch wählt Trifonov zum Abschluss die 5. Sonate von Alexander Skrjabin aus, ein Stück, das im 1907 im Echoraum des berühmten „Poème de l’extase“ entstanden ist, was man an der ekstatisch aufgetürmten Harmonik auch beobachten kann. Wenn Trifonov sich hier auch in den verordneten Rausch spielt, bleiben überraschenderweise nun die Konturen so klar, als würde er sich in einer großen Limousine durch einen Tornado bewegen – im Auge des Sturms ist es ruhig.

Das nun völlig entzückte und nun auch vom atemlosen Mitverfolgen befreite Auditorium im Musikverein dankte Trifonov mit donnerndem Applaus und stehenden Ovationen – und Daniil Trifonov schenkte den Zuhörern als einzige Zugabe Bachs „Jesu bleibet meine Freude“, ein Stück, nach dem wirklich alles gesagt ist.

 


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Veröffentlicht in Rezensionen Wien

Ein Kommentar

  1. Gut! Trifonnov spielt an vielen Orten auf der Welt. Den hättest Du wohl auch in Dresden erleben können. Ich selbst halte ihn für einen der ganz großen. Sokolov, Trifonov, Lugansky sind meine Top-Bevorzugten. Aber es gibt noch 7 weitere, die ich jetzt hier nicht aufzählen möchte. Ich habe Trifonov schon oft im Konzerthaus erlebt, also würde ich jedesmal ein ähnlich überwältigendes Erlebnis erwarten 🙂
    Aber ganz ohne Spaß: so schlecht ist die Entscheidung wohl nicht gewesen, einmal nach Wien zu kommen und auf absehbare Zeit zu bleiben. Vielleicht ist man sich das als Musiker einfach schuldig.
    Es gibt aber auch einen negativen Effekt. Für junge Musiker, vor allem aus dem Ausland, aber auch aus dem Inland, ist es sehr schwer, hier mit Konzerten Fuss zu fassen. Die Wiener sind einfach zu verwöhnt. Ich sage das nicht als Kritik, sondern weil es einfach eine Tatsache ist. Drei große Opernhäuser, zwei Hauptkonzerthäuser plus x kleinere Säle, es gibt dann ja auch noch jede Menge Palais‘ und Kirchen, wo Aufführungen stattfinden … Also fad kann einem nicht werden. Ich kenne flüchtig eine Dame, die allein für das Konzerthaus 10 Abonnement-Zyklen besucht. Also praktisch an einem Ort mindestens ein Konzert pro Woche während der Saison. Und ich bin überzeugt, dass sie auch im Musikverein oder in der Oper Abos hat.
    Jedenfalls freue ich mich für dich, dass Du so gute Erlebnisse hast.

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