Antonio Pappano und das Orchestra L’Accademia di Santa Cecilia Rom mit dem zweiten Konzert im Konzerthaus Wien
Die musikalische Woche in Wien ist mal wieder so randvoll gepackt, dass man wieder – erfolglos – über Teilung und Klonung nachdenkt. Unterschlagen muss ich tatsächlich diese Woche die Symphoniker, die ausgerechnet Franz Schmidts 4. Sinfonie spielen, ein herrliches, wohl auch nur in Wien öfter gespieltes Werk. Wer also diese Woche noch den Musikverein besuchen kann, hier die Empfehlung dazu.
Doch gestern habe ich immerhin das zweite Wien-Konzert der Accademia die Santa Cecilia Rom anhören können. Es ist der Beginn der Abschiedstournee des Orchesters mit seinem Chefdirigenten Antonio Pappano, der nach 18 Jahren die Leitung des Orchesters abgibt – und auch im Londoner Covent Garden gibt er (nach 21 Jahren!) seine Abschiedsspielzeit. Damit ist unter den Rezensenten die Bahn frei für das große Dirigentenkarussell, denn auch die Staatsoper Berlin wird einen neuen Chef suchen und Pappano steht mit seiner enormen Erfahrung auch auf dem berühmten Torwartzettel. Einigermaßen frei arbeitende Dirigenten gibt es ja nur wenige, aber mit Harding, Thielemann und Jordan gibt es für Rom und Berlin weitere große Namen, während Covent Garden ja mit Jakub Hrůša weiterhin spannenden Zeiten entgegen sieht und Mäkelä und Mallwitz sich vermutlich nicht weitere Posten ans Bein binden werden.
Doch vor dem gestrigen Konzert im Konzerthaus Wien kreisten solche Gedanken nur kurz – in jedem Fall werden die Wiener Pappano sicherlich bei einer Tournee als neuen Chef des London Symphony Orchestra wieder begrüßen dürfen. Am Montag bereits hatte die Accademia das Publikum mit Prokofiev, Ravel und Sibelius begeistert, wobei der Isländer Vikingur Olafsson für Martha Argerich im G-Dur-Konzert von Maurice Ravel eingesprungen ist. Am Dienstag gab es ein reines Orchesterkonzert, und Pappano setzte erneut auf ein Programm, in dem Spätromantik und frühe Moderne des 20. Jahrhunderts sich die Hand reichten.
Nach der Uraufführung von Arnold Schönbergs Kammersinfonie Opus 9 entluden die Rezensenten 1907 ihr Unverständnis in ziemlich harschen Verrissen, hatte man doch schon zwei Jahre zuvor im Musikverein bei der sinfonischen Dichtung „Pelleas und Melisande“ Schönberg tatsächlich ins Irrenhaus verwünscht. Die Kammersinfonie erscheint aus heutiger Sicht jedoch als konsequente Weiterentwicklung der polyphonen Ideen und der Intervallstrukturen in Richtung zu frei behandelbaren Parametern. Trotzdem bleibt der Gestus noch leidenschaftlich-romantisch und Pappano startete mit seinen 15 Römern auf der Bühne auch energisch und volltönend.
Nach fünf Minuten jedoch erfüllte sich quasi der Wunsch eines von solch vielen gleichzeitig zu verfolgenden Linien überforderten Hörers, den Beginn doch bitte noch einmal zu hören, und zwar unabsichtlich: dem Cellisten riss eine Saite, und damit war nur ein Abbruch denkbar, denn das ganze Ensemble ist ja in diesem Stück permanent solistisch beschäftigt. Pappano nahm es gelassen und bedeutete dem Publikum augenzwinkernd „Wir können leider nichts anderes spielen“, dann wurde geduldig gewartet und neu angesetzt, diesmal mit Erfolg bis zum überschwänglich ausmusizierten Finale, obwohl man beim in dieser Aufführung heftigen Zugriff der Streicher auch um einige weitere Saiten zitterte.
Unablässiger Energieschub war das Markenzeichen dieser Schönberg-Aufführung, wobei Pappano aber nie über das Ziel schoss und ab und an gemeinsam mit seinem Konzertmeister Andrea Obiso auch dämpfte und bremste. Dass hier und da etwa im letzten Höhepunkt der Bläserklang für meinen Geschmack etwas zu spitz und kurz war, ist dem Eifer geschuldet und ist Mäkelei auf hohem Niveau.
Dafür legte sich die Accademia bei Anton Bruckners 7. Sinfonie E-Dur – ich wüßte nicht, Bruckner bislang überhaupt einmal (und so gut!) von einem italienischen Orchester gehört zu haben – mit fast magischem Klangfarbenspiel ins Zeug. Im 1. Satz fiel vor allem ein wunderschön voranschreitendes Metrum auf, auf den Pappano alle Themen und Entwicklungen bettete. Mystizismus oder ein live zelebriertes Herumbohren in Details liegt diesem Dirigenten gar nicht, und daher wirkt dieses E-Dur wie frisches Quellwasser, was die Blechbläser mit Deutlichkeit und Gleißen in den Höhepunkten unterstreichen. Im Gegensatz dazu sind die pianissimo-Sätze in den Bläsern von erstaunlicher Wärme und Weichheit, und gemeinsam mit den eher streng artikulierenden Streichern ergibt sich so ein ganz eigenes charakteristisches Klangbild. Einzig der ostinate Paukenwirbel in der Coda übertönte zeitweilig das Geschehen und hätte mehr Gefühl vertragen.
Im 2. Satz schaffte Pappano mühelos die Spannung in den mehrfachen Anläufen bis zum berühmten Beckenschlag zu halten, und dieser Höhepunkt ergoss sich quasi ins ganze Konzerthaus wie ein Riesenatem. Danach war das Scherzo von leichter, flüssiger Art musiziert und im Finale durfte man noch einmal die fantastischen Bläsersätze der Tuben und Hörner bewundern, wobei Pappano auch hier mit beherztem Forte-Zugriff nicht sparte und somit Bruckner volltönend mit einer Art Bodenhaftung versah. Der Himmel kommt erst später.
- Das Orchestra dell’Accademia di Santa Cecilia setzt seine Tournee mit Konzerten in München (25.1.), Frankfurt (27.1.), Essen (29.1.) und Hamburg (31.1. und 1.2.) fort.
Foto (c) Alexander Keuk
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Tja, wenn Du die 4. Symphonie von Franz Schmidt als „herrliches Werk“ bezeichnest, freue ich mich sehr. Diese Symphonie hat meine Mutter immer zum Weinen gebracht. Franz Schmidt war unser „Hauskomponist“. Mein Vater muchte ihn sehr, er wollte auch bei ihm studieren, aber Schmidt hat ihn recht kühl abgekanzelt: Was sie studieren auch noch Technik, dann kann ich Sie nicht „verwenden“. Trotzdem hielt mein Vater ihm die Treue. Er transkribierte viele Orgelwerke auf Klavier. Ich habe handschriftlich Noten von den Klavierquintetten, die damals noch nicht gedruckt waren. Die Symphonien haben wir teilweise vierhändig gespielt. Die zweihändigen Noten habe ich später noch „vergewaltigt“. Den langsamen Satz von der 4. habe ich bei Trauern gespielt, auch anlässlich des Begräbnisses meines Vaters.
Besonders habe ich Fabio Luisi geschätzt, der in seiner Zeit als Chef der Wr. Symphoniker sehr viele Werke von Schmidt aufgeführt hat. Das „Buch mit sieben Siegeln“ habe ich dreimal im Konzertsaal erlebt. (Mit einer lustigen Einlage beim ersten Mal. Als die Orgel einmal eingesetzt hat, hat der Organist vergessen, die Register neu zu setzen. Statt pp ertönte ein Fortissimo-Akkrod 🙂 Es gäbe noch sehr viel zu erzählen. Aber das hebe ich mir auf, wenn Du uns wieder einmal besuchen kommst.
Beispiele:
https://www.youtube.com/watch?v=3zGRYqlTfhE
https://www.youtube.com/watch?v=FwJkaIg_t28
Damit Du siehst, dass mir Franz Schmidt nicht so fremd ist 🙂
Danke, deine Schmidt-Verbindung ist sehr spannend! Ich war erst im letzten Herbst in der „Buch“-Aufführung im Musikverein mit Ingo Metzmacher, meine erste live-Begegnung mit dem Oratorium. Auch dazu beizeiten mehr.