Vermutlich gab es intern einen kleinen Wettbewerb, wieviel originelles und originäres Wienflair man auf einer CD versammeln kann. Drei in Wien geborene Komponisten und „vier Wahlwiener Interpreten“ treffen auf der mit „Viennese Transfiguration“ bezeichneten, gerade bei Hänssler Classic erschienenen Aufnahme zu einer Kammermusik mit Werken von Alban Berg, Alexander Zemlinsky und Thomas Wally zusammen – der Herr ist ihnen allerdings nicht erschienen, der Begriff Transfiguration bezeichnet eher die Verwandlungen der auf der CD versammelten Stücke und ist außerdem der Titel des 2008 entstandenen Originalwerks von Thomas Wally.
Federführend in dieser außergewöhnlichen Aufnahme ist der aus der Ukraine stammende Geiger Maxim Brilinsky, seit 2011 Mitglied der Wiener Philharmoniker, der mit Stefan Neubauer (Klarinette), Johannes Piirto (Klavier) und Bartosz Sikorski (Kontrabass) nicht nur versierte Kammermusikfreunde zu einem Quartett um sich scharte, sondern auch die Arrangements für diese seltene Besetzung auch gleich selbst schrieb.
Bei der Live-Aufnahme eines pandemiebedingt nur als Streaming abgehaltenen Konzertes aus dem Arnold Schönberg Center in Wien stand das Violinkonzert von Alban Berg „Dem Andenken eines Engels“ aus dem Jahr 1935 im Mittelpunkt, das Brilinsky für Violine, Klarinette und Kontrabass bearbeitet hat. Damit erweist sich der Geiger natürlich in bester Tradition der Komponisten der Wiener Schule selbst, die etwa für ihre Aufführungen in Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“ Kompositionen anderer für ihre Zwecke pragmatisch umarbeiteten, auch Klavierauszüge großer Sinfonien wurden hergestellt.
Während der Pandemie kamen so auch hier und da Mahler- und Bruckneraufführungen in teils merkwürdigen Arrangements zustande. Doch erstaunlicherweise funktioniert hier die Reduktion außerordentlich gut, vermutlich, weil man Bergs kammermusikalische Schreibweise selbst in der Orchesterpartitur des Konzerts (und auch im Wozzeck gibt es ja enorm viel Kammermusik!) schon im Ohr hat und die Selbstverständlichkeit der jederzeit flüssigen, dramatisch fein akzentuierten Interpretation gar nicht vermuten läßt, dass es sich um eine Bearbeitung handelt.
Lediglich im zweiten Satz sind die Farben gerade durch einen fehlenden geteilten Streicherklang begrenzt und harmonische Auswüchse müssen dem Klavier zugeordnet werden. Trotzdem ist die Auswahl mit Klarinette und Kontrabass gerade in der Horizontalen gut geeignet, um das Räumliche des Konzerts im kleinen Rahmen zu erhalten. Den leider verwackelten Schluss hätte man nachbearbeiten sollen, im Vergleich dazu ist das Adagio am Ende der CD dann aber herrlich verklingend.
Eine ziemliche Wunderkammer stellt immer noch das Werk von Alexander Zemlinsky dar, der sich nie zu den Zwölftönern gesellt hat, aber verteufelt nah daran im freitonalen Raum mit harmonischen Schichtungen und Rückungen experimentierte – zumeist in expressiver Absicht seiner musiktheatralischen Werke. Damit gelingt auf dieser Aufnahme ein fast nahtloser Übergang zwischen Berg (der ja die Tonalität weit ausgespannt in seinem Violinkonzert ebenfalls bewusst benutzt) und Zemlinsky, dessen Bühnenmusik zu „Cymbeline“ aus dem Jahr 1913 weitgehend unbekannt sein dürfte.
Als neues Werk haben die vier Musiker ein bearbeitetes Quartett von Thomas Wally (*1981) einbezogen. Es erweist sich als starker Kontrast der vielfach in starker Kontrapunktik verweilenden anderen Stücke. Wallys vierteiliges Stück, das viele leise empfundene Passagen enthält, bildet einen guten Übergang zu dem Adagio aus Bergs Kammerkonzert, das hier in einer selten gespielten Trio-Besetzung erklingt – Alban Berg selbst hatte sein Werk in seinem Todesjahr 1935 für diese Besetzung umgearbeitet.
Viennese Transfigurations, Werke von Alban Berg, Alexander Zemlinsky, Thomas Wally
Maxim Brilinsky (Violine), Stefan Neubauer (Klarinette), Bartosz Sikorski (Kontrabass), Johannes Piirlo (Klavier), hänssler, VÖ 1.2.2023
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