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Zurück zu den Wurzeln?

Die „Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“ sind wieder da. Sie starten am 19. April.

Alle zwei Jahre versammeln sich (hoffentlich nicht nur) die Freunde der zeitgenössischen Musik in Hellerau und weiteren Spielstätten, um die neuesten Impulse aus der Szene zu empfangen – bislang hieß das biennal durchgeführte Festival „Tonlagen“, in diesem Jahr kehrt es zum seit der Gründung 1987 verwendeten Titel „Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“ zurück und führt damit auch das Werk des 2021 verstorbenen Komponisten und Intendanten Udo Zimmermann ehrend fort. Bei den „Tagen“ ist in diesem Jahrgang, das verrät ein Blick auf das Programm der kommenden zweieinhalb Wochen, der Dreisprung zwischen Rückblick, Gegenwartspulsation und Befragen der Zukunft maßgeblich. Leitend und kuratierend haben Moritz Lobeck und Elisabeth Krefta ein vielfältiges Programm unter dem Dach der „Tage“ versammelt.

Olga Neuwirth

Den Auftakt macht die Sächsische Staatskapelle Dresden mit dem Portrait der Capell-Compositrice Olga Neuwirth zur Festivaleröffnung am 19. April. Aktuelle Werke weiterer spannender Komponistinnen stehen im Fokus bei „Komponist:in zum Frühstück“ von Ensemble Courage mit der Kanadierin Annesley Black (23.4.) und in Verbindung mit der Musikhochschule bei einem „Tag für Adriana Hölszky“ am 3. und 4. Mai.

An mehreren Abenden wird ein zentrales Projekt der „Tage“ quasi live entwickelt und konzertierend vorgestellt: „Parasite Village“ führt Ensembles aus verschiedenen Kulturen der Welt zusammen und befragt ein Neues Denken innerhalb der Vernetzung, und auch der Titel des sich daraus formierenden neuen Ensembles, „Future Tradition Orchestra“ markiert eher ein Unterwegssein der Musik. Dieses Projekt, kuratiert von Elisabeth Erkelenz, ist ein Beispiel, wie das Festival auch in diesem Jahr die Tradition des Diskursiven mit Austausch und Forschung pflegt – weitere Roundtables und Vorträge, zum Teil mit Musik und Interaktion, laden dazu ein, gemeinsam mit Experten über Zukunftsfragen zur Musik nachzudenken.

Das allerdings kann auch im konzertanten Rahmen, und sogar unterhaltsam bis vergnüglich geschehen, was etwa die „Chortheater-Fernsehshow“ Yes Yes Yes des Dresdner Ensembles AuditivVokal verspricht, das sich damit Singspielen des kürzlich verstorbenen Hans Joachim Hespos sowie von Ole Hübner widmet. In Gastspielen wird das MDR Sinfonieorchester – mit einem Schulkonzert –  ebenso wie die Elblandphilharmonie Sachsen mit Uraufführungen (20.4.) wieder bei den Tagen auftreten, auch das Leipziger Ensemble „Contemporary Insights“ verspricht einen spannenden Abend (21.4.).

Mit Steve Reichs Klassiker der Minimal Music „Music for 18 Musicians“, gespielt vom herausragenden Ensemble Modern, gelingt tatsächlich die Metaebene der Wiederholung der Wiederholung (23. April), denn Reich wurde in Hellerau ja bereits zu seinen runden Geburtstagen gewürdigt. Mit diesem Konzert fällt auch der Startschuss zu einer besonderen Archivinitiative, denn ein Festival, das über dreißig Jahre hinweg maßgebliche Entwicklungen der Kunst so aktiv und vielfältig beleuchtet hat, soll auch in der Dokumentation „zukunftsfit“ seine Schätze bereithalten.

In der Kooperation mit der Semperoper Dresden widmen sich die Tage außerdem dem zeitgenössischen Musiktheater (schade, dass eine große Eigenproduktion dieser im Jahrgang diesmal nicht auftaucht), denn Aribert Reimanns Kammeroper nach August Strindberg „Gespenstersonate“ kann in Semper 2 besucht werden – der renommierte Komponist ist am 21. April in der Hochschule für Musik in einem öffentlichen Portrait zu Gast. Mit dem Festivalbeginn startet außerdem eine audiovisuelle Installation der Komponistin und Soundkünstlerin Esmeralda Conde Ruiz (London) im Festspielhaus, die im letzten Jahr die Residenz am Schaufler Lab @TU Dresden erhielt und damit ihren künstlerischen Abschluss vorstellt. Hier wird es um den Menschen im Spiegel des radikalen technischen Wandels und Auswirkungen der immer stärker in unser Leben Einzug haltenden KI (Künstliche Intelligenz) gehen.

Conde Ruiz wird das Festival auch mit einer Vokal-Performance am 7.5. beschließen. Der Blick in eine völlig andere zeitgenössische Musik- und Tanzkultur wird mit zwei Abenden im Club objekt klein a ermöglicht, wenn die angesagte Punkband „Pisse“ unter dem Titel „Schaumweinmärchen“ möglicherweise härtere Klangwelten untersucht. Und schließlich gibt es auch für die Flaneure im Festspielhaus etwas zu entdecken, denn die ausdrucksstarken Fotografien von Matthias Creutziger, der über 25 Jahre hinweg das Festival mit Auge und Kamera begleitete, bilden in einer an den Veranstaltungstagen besuchbaren Ausstellung eine wertvolle Erinnerung an das (hoffentlich ewig) Neue in Dresden.

 

Highlights im Festspielhaus Hellerau

19.4., 18 Uhr Eröffnung der „Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“, 19 Uhr Portrait Olga Neuwirth, Staatskapelle Dresden
20.4., 20 Uhr Elbland-Philharmonie Sachsen, Werke von Voigtländer, Franke, Louilarpprasert
21.4. 18.30 Uhr Ensemble Contemporary Insights
23.4. 11 Uhr, Komponist:in zum Frühstück, Annesley Black, Ensemble Courage
23.4. 20 Uhr, Ensemble Modern, Steve Reich
29.4. ab 17 Uhr, Parasite Village – Performances & Future Tradition Orchestra (20 Uhr)
6.5.  20 Uhr, AuditivVokal Dresden, Yes! Yes! Yes!
7.5. 16.30 Uhr, Abschlusskonzert: Esmeralda Conde Ruiz, 24/7 The Performance

 

Fotos (c) Wonge Bergmann (Ensemble Modern), Rui Camilo (Olga Neuwirth)

 

 


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Veröffentlicht in Dresden Features

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