„Wald“, der dritte Spielfilm von Elisabeth Scharang feierte gestern Österreich-Premiere im vollbesetzten Gartenbaukino am Ring. Zuvor war der Film beim Toronto Filmfestival zum ersten Mal überhaupt gezeigt worden.
Der Film basiert auf der gleichnamigen Buchvorlage von Doris Knecht, entwickelt diese aber weiter. „Wald“ ist die Geschichte von Marian, einer Frau, die sich entscheidet, in das Haus ihrer verstorbenen Großmutter im Waldviertel zurückzukehren, obwohl sie ein Leben mit Beruf und Ehemann in Wien hat. Doch ein miterlebtes Attentat hat für sie Folgen – und der Wald, der See und das Haus ihrer Kindheit scheinen geeignet dazu, sie zumindest für eine gewisse Zeit zu beherbergen.
Doch auch hier ist sie nicht allein – das Dorf weiß noch um die „Flüchtige“, die die „Regeln“ der Landbewohnerschaft – aus deren Sicht – nicht eingehalten hat, in welchen es um Familienwerte, aber auch Zwänge und Abhängigkeiten geht. So trifft sie auf eine zwar bekannte, dennoch ihr feindselig gesinnte Nachbarschaft. Selbst die beste Jugendfreundin, die mit ihrer eigenen Familie – einem Schlägervater und einer devot-dementen Mutter – kämpft, distanziert sich.
Das alles reicht schon für ein Psychodrama erster Güte, doch Scharang, die den Film mit ihrem gesamten Team in der Lockdown-Zeit (und nach dem Wiener Terroranschlag vom 2. November 2020) drehte, läßt auch die Natur in den Film und findet in Jörg Widmer einen Kameramann, der statt einer Idealisierung oder Verträumung fast schon beklemmend realistische Wald- und Wetterbilder dieser Landschaft findet, die in den Häusern an der Grenze vor dem Wald quasi ihr Ende und ihren Anfang hat.
Überragend ist das Spiel der wenigen Protagonisten. Brigitte Hobmeier (Marian) trägt diesen Film fast alleine auf ihren starken Schultern, doch auch Gerti Drassl (Gerti) und Johannes Krisch (Franz) sind intensive Partner, bei denen man manchmal tatsächlich vergisst, dass der Film Fiktion ist und kein Dokumentarfilm eines verlassenen Weilers in Niederösterreich.
Aktion und Sprache sind im Film von Scharang auf ein Minimum reduziert – in dieser Welt wäre aber auch jedes Wort zuviel. Selbst der Bauer in der Kneipe bringt seine Feindseligkeit sofort auf den Punkt und damit wirken Gefühle direkter und stärker, als es jedes Diskutierstück vermag. „Das ist kein Popcornfilm“ warnte Scharang vor Beginn des Screenings ihr Publikum, und nach 95 Minuten greift man etwas erleichtert in die Tüte, ist sich aber auch sicher, dass dieser Film ein kammerspielartiges Kunstwerk ist, in dem auch Fragen offen bleiben dürfen und manchmal ein Bild, ein Schneesturm, ein tropfendes Dach oder eine Schnapsflasche mehr sagen als alle Worte.
Übrig bleibt die Frage, ob der Weg zurück – nämlich im Wortsinn in das verspinnwebte Leben der vorvorherigen Generation – tatsächlich Heilung oder Erkenntnis verspricht. Doch mehr noch als um Erkenntnis geht es in diesem Film auch um das nackte Überleben. Das tatsächliche, lebenswerte Leben scheint weit außerhalb des Filmes stattzufinden, auch in dieser Wirkung ist der Film einzigartig.
- Wald, Kinostart am 29.9., in Wien u.a. im Gartenbaukino, Votivkino, Urania, Apollo, im Oktober auch in den Breitenseer Lichtspielen
Foto (c) Alexander Keuk
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