Zum Inhalt springen →

Liederzyklen von Mussorgski beim Brunner Hausmusikabend

Hausmusikabende begründen sich im Salon des 19. Jahrhunderts, als es zum guten Ton gehörte, dass man ein Instrument leidlich spielen konnte und private Zirkel entstanden, die oft die Grenzen zwischen Laienmusizieren und Professionalistentum verwischten – mit oft interessanten Ergebnissen, denn so konnte man sich aus dem Wohnzimmer auch einmal via Streichquartett ins Konzert vorarbeiten oder sich mit dem nötigen Kleingeld einen gerade angesagten Tastenvirtuosen nach Hause holen. Vor allem aber diente die Hausmusik der Pflege der Kammermusik zu besonderen Gelegenheiten, aber auch schlicht bei familiären Abenden am Kamin.

Solche Abende finden auch heutzutage immer wieder statt, da sie aber meist privatim organisiert und annonciert werden, tauchen sie meist in keiner Konzertvorschau oder Statistik auf. Geschätzt werden Sie sowohl von den Zuhörern als auch von den Interpreten – letztere können sich auf diese Weise nicht nur den Traum des Konzertierens leisten, sondern sie stellen zumeist auch Werk und Interpretation zur Diskussion, der kulturelle Austausch ist somit immer inklusive.

In dieser glücklichen Mischung fand Anfang Oktober wieder ein Hausmusikabend bei Hans Hartmann in Brunn am Gebirge statt. Als Physiker ist er Pensionist, was aber keineswegs den Ruhestand als Musiker für ihn bedeutet. Hartmann erarbeitete sich die großen Werke der Klassik nicht nur im Konzertsaal beim Zuhören, sondern durch die eigenen zehn Finger am Flügel, die in stetiger Lust am Neuen, aber auch mit fortwährender Weiterbildung (Unterricht „genießt“ er auch heute noch) täglich aktiv sind. Das Klavier ist ihm seit der Jugend vertraut, und in der Familie wurde auch die vierhändige Literatur gepflegt, was bei Hartmann alsbald zum Spiel ganzer Bruckner-Sinfonien führte.

Beruflich einige Jahre mit der berühmten Bösendorfer-Klavierbaufirma verbandelt, nennt Hartmann seit einigen Jahren einen besonderen Flügel sein eigen, der früher vom legendären österreichischen Pianisten Paul Badura-Skoda gespielt wurde – Hartmann hat ihn noch persönlich kennenlernen dürfen.

Hartmann organisiert schon seit einiger Zeit „Musik in Brunn am Gebirge“ – an Nachfrage fehlt es ebensowenig wie an aufführbarer Literatur. Während frühere Hausmusikabende sich vor allem Ludwig van Beethoven widmeten, dessen Sonatenschaffen Hartmann besonders verbunden ist, war der Oktoberabend dem Lied gewidmet, und zwar explizit den beiden großen Liedzyklen von Modest Mussorgskij „Ohne Sonne“ und „Lieder und Tänze des Todes“, die zwischen 1874 und 1877 komponiert wurden.

Das Besondere eines solchen Hausmusikabends ist natürlich, dass man Musik und Interpreten besonders nah sein kann und sie dies auch gestatten (worum sich Veranstalter oft jahrelang vergeblich in Vermittlungsprojekten bemühen…). So freute man sich nicht nur über den warm-direkten Klang des Bösendorfer Flügels, sondern auch über kundige Erläuterungen zu den Stücken sowie der Rezitation der Liedtexte auf deutsch.

Sopranistin Xenia Galanova

Die Lieder selbst wurden in der Originalsprache von einer Muttersprachlerin gesungen – der Sopranistin Xenia Galanova, die ebenfalls einige Anmerkungen einbrachte, so zum Beispiel, dass die meisten Aufnahmen der männlichen Kollegen transponierte Fassungen der „Lieder und Tänze des Todes“ seien – an diesem Abend erklangen die Lieder im Original, so wurden sie u. a. auch von der Sopranistin Galina Wishnevskaja aufgenommen.

Dass der Abend rein von der Thematik der Zyklen in beiden Fällen eine eher ernste Angelegenheit werden würde, war klar, doch Mussorgskij beleuchtet in den „Liedern und Tänzen des Todes“ auf Gedichte von Arseni Arkadjewitsch Golenischtschew-Kutusow durchaus verschiedene Farben und Persönlichkeiten des Todes. Demgegenüber wirkt „Ohne Sonne“ auf Texte des gleichen Dichters eher wie eine pessimistisch-poetische Meditation, die aber verschiedene Deutungen zulässt.

Es wurde dennoch kein trauriger Abend, denn Hartmann und Galanova sorgten für eine höchst lebendige Interpretation der Lieder, in denen eben auch traditionelle russische Tänze wie der Trepak eingewoben sind, zudem gab es einen kontrastierenden Programmpunkt mit der Arie der Eva aus dem 2. Akt der „Meistersinger“ von Richard Wagner. Und was da stimmlich wie pianistisch zu vernehmen war, erregte in höchstem Maße die Begeisterung des Publikums, wohl eben auch, weil in dieser Hausmusik das Fremde plötzlich vertraut scheint, die Kunst greifbar wurde und man sich im Gespräch nach dem Konzert auch über das Gehörte austauschen konnte.
Viel mehr brauchte es tatsächlich für ein glückliches Musikerlebnis nicht.

Fotos (c) Michael Paulus

 

 


Auf mehrlicht befinden sich mehr als 800 tagesaktuelle Rezensionen, Interviews und Kulturfeatures. Wenn Sie als Leser:in mein werbefreies Blog mit einer kleinen Spende (buy me a Ko-Fi ☕ / PayPal) unterstützen wollen, freue ich mich sehr.

 

image_pdf

Veröffentlicht in Features Rezensionen Wien

Kommentaren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert