Porträt-CD „Pure Bliss“ von Sara Glojnarić bei Kairos erschienen
Die Überschrift ist mit Absicht gewählt. Es ist der bei mir – leider nurmehr recht selten auftauchende – Satz, der beim ersten Hören eines Stückes Irritation und gleichzeitig Interesse beschreibt. Es kann natürlich sein, dass diese Entdeckung nur für mich Gültigkeit hat und sozusagen ein geheimes Interesse ist (wir sind ja bei zeitgenössischer Musik ohnehin immer in der Nische-Nische unterwegs), aber im Fall von Sara Glojnarić (geb. 1991) zeigt schon das Line-Up auf ihrer Porträt-CD, die vor wenigen Wochen bei Kairos erschienen ist, dass ihre Musik von renommierten Ensembles und Solisten gespielt wird. Ihre musikalischen Erkundungen, die offenbar nicht nur bei mir das „Was ist das?“ entlockten, sorgten bereits für die Verleihung von Musikpreisen wie den Förderpreis der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung oder den Erste Bank Kompositionspreis (2022). Letzterer hat nun auch die Produktion der CD ermöglicht, auf der sich sieben Vokal- und Ensemblestücke der letzten Jahre finden.
Die aus Zagreb stammende Komponistin, die u.a. in Stuttgart bei Martin Schüttler studiert hat, stellt in ihren Stücken viele neue Fragen, die einige Türen und vielleicht auch (vermeintliche) Meta-Ebenen öffnen. Manches liegt da offen auf der Hand, wenn man etwa die Fähigkeiten der Musker, die (Lebens-) Umgebung oder das Denken der Interpreten und der Komponistin selbst – denn sie schließt eine Selbstreflektion und –recherche in ihren Werken nicht aus – mit in den künstlerischen Prozess einbezieht. Man landet dann bei einer Art gesellschaftlich-kontextualisiertem Komponieren, wobei der Spannungsfaden bei Glojnarić für mich auch darin besteht, wie diese breite Öffnung, etwa in Richtung Pop-Kultur, Sport oder Psychologie in den Rahmen einer von Entscheidungen abhängigen, werkartigen Komposition gelangt.
Manche dieser eben angesprochenen Türen öffnen sich auch erst nach dem vollen Durchleben eines Stückes von Glojnarić. Diese verlangen eine oft extreme Ausführung und Konzentration, ein „groteskes Level an Virtuosität“, wie etwa in „Latitudes“ für präpariertes Klavier und Tape, wo die Pianistin Magdalena Cerezo Falces sich nicht nur um „Bestmarken“ einer Annäherung zu kümmern hat, sondern ähnlich wie im Sport Wiederholungen und präzise Temposchleifen meistert. Ist das noch Musik, ist das Spiel oder gar Ernst? Es ist genau dieser Zwischenraum der Atemlosigkeit, den Glojnarić erforscht, und der interessanterweise in der Klanglichkeit – in #Latitude #2 wird etwa ein gewöhnliches Percussion-Set als Basis benutzt – sehr konzentriert wirkt, damit etwa formale, rhythmische und algorithmische Prozesse in den Vordergrund rücken.
So klingt „sugarcoating #4“ für Orchester (eingespielt vom ORF Symphonieorchester unter der Leitung von Marin Alsop) in der Repetitionswut seiner Phrasen seltsam nackt, aber ebenso auch unerbittlich in seiner Pulskonzentration. Es geht Glojnarić auch um Gesten und Idiome, die „dick aufgetragen“ eben in einen Bereich vorstoßen, in dem nach einer ersten Überwindung (womit wir auch wieder beim Sport sind), neue Erfahrungsbereiche möglich sind. In den Stücken mit Stimmen, die sie Artefacts nennt, werden neue Ausdrucksbereiche durch Nostalgie und Nachahmung erschlossen. Die Neuen Vocalsolisten zeigen da einen sehr besonderen Umgang mit Tradition und Erinnerung, indem sie charakteristische Stimmen aus Vorlagen von Popsongs (erneut) herstellen und in neue Beziehungen setzen.
Das einzige Manko der CD-Form ist ein wenig, dass man mitkomponierte Video-Ebenen der Stücke nicht sieht, somit auch nicht die Arbeit oder auch die extreme Leidenschaft der Musiker beim Exerzitium – dafür hält aber die Website von Glojnarić wie auch einige youtube-Ergebnisse Möglichkeit zur Ergänzung bereit. Schließlich fragte Glojnarić in „Pure Bliss“ („reine Glückseligkeit“), das auch der CD den Titel gab, nach musikalischen Gänsehautmomenten der Musiker des Klangforums Wien und formte aus den Antworten eine extrem gedehnte Soundlandschaft, in der das Ensemble wiederum zum Aktivum der Gegenwart wird. Das ist bewegend und in gewissem Maße auch aufrüttelnd, weil Sara Glojnarić die gewesene Musik eben nicht im Praeteritum ver- oder zerfallen läßt, sondern sie in einer Art klingendem Gedächtnis zurückholt. Hörenswert.
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