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Vorzeitige Bescherung

Sir Donald Runnicles soll Chefdirigent der Dresdner Philharmonie werden

Es raschelte bereits im Oktober in der Dresdner Gerüchtekiste, aber da waren die Tücher noch nicht ganz trocken und Geduld war angesagt. Auf der Überholspur vor dem Christkind  beschenkt die Dresdner Philharmonie sich und die Stadt aber nun mit einem neuen Chefdirigenten. Es ist der aus Schottland stammende 69-jährige Sir Donald Runnicles, der seit 2009 an der Deutschen Oper Berlin als GMD wirkt. Dieses Amt, so teilte Runnicles im September mit, wird er 2026 niederlegen. Sir Donald Runnicles ist außerdem Künstlerischer Leiter eines Festivals im US-amerikanischen Jackson und Erster Gastdirigent des Atlanta Symphony Orchestra. Beim Scottish Symphony Orchestra der BBC war er von 2009 bis 2016 Chefdirigent und wurde dort zum Conductor Emeritus berufen. In Großbritannien wurde er vielfach ausgezeichnet und bekam 2020 den Titel des Knight Bachelor verliehen.

Als Dirigent ist er sowohl in der Sinfonik wie auch in der Oper tätig und steht für ein außerordentlich breites Repertoire zwischen Mozart und der Avantgarde, das in der Vergangenheit auch einige Ur- und Erstaufführungen (John Adams‘ „Doctor Atomic“) sowie Wiederentdeckungen umfasste. Einen Schwerpunkt mag man bei Runnicles, der in den letzten Jahren übrigens auch gern gesehener Gast der Staatskapelle Dresden war, in der Spätromantik sehen; er besitzt außerdem eine besondere Expertise für britische Musik aller Couleur und der Musik der ersten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts.

Der Vertragsentwurf wird in Kürze dem Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden zur Beschlussfassung vorgelegt. Vorgesehen ist, dass er das Amt in der Saison 2025/26 antritt und für fünf Spielzeiten übernimmt. Bereits ab der kommenden Saison 2024/25 soll er die Dresdner Philharmonie als designierter Chefdirigent leiten. Runnicles und die Philharmoniker gingen schon auf Tuchfühlung und so freut sich der künftige Chefdirigent auch auf die Zukunft: „Als ich vor einem Jahr zur Dresdner Philharmonie kam, war ich sofort gefesselt von der Schönheit und dem hervorragenden Klang des Konzertsaals. Und das setzte sich beim Orchester fort: Ich bin auf eine exzellente musikalische Qualität, auf großes Vertrauen und eine Art des Zusammenspiels getroffen, wie ich sie vorher kaum irgendwo erlebt habe.“

Die Chemie scheint beiderseitig zu stimmen, denn wie Orchestervorstand Robert Christian Schuster betont, sei das Orchester „beeindruckt, wie zugewandt und gleichzeitig souverän er uns von seinen musikalischen Vorstellungen überzeugt hat.“ Ein Frohlocken gibt es natürlich auch von Seiten der Intendanz der Dresdner Philharmonie und von der Stadt, denn nicht nur wäre nun eine Planungssicherheit wieder gegeben, die Philharmonie bewahrt sich auch vor einer allzu langen cheflosen Zeit, die Erreichtes in Frage gestellt hätte und Neues in ungewisse Zukunft verschoben hätte.

Annekatrin Klepsch, Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur, Wissenschaft und Tourismus teilte mit, Runnicles stehe „für höchstes künstlerisches Können und eine feste Verankerung in der internationalen Musikszene“. Was Runnicles vorhat und wie er das hervorragend von Janowski ‚intonierte‘ Orchester in eine auch gesellschaftlich herausfordernde Zukunft begleiten wird, das ist nun die spannende Frage, der man sich erwartungsvoll stellen darf und die man auch stellen muss – denn ein toller Saal allein macht noch keine Philharmonie. Für Details wird man die Spielzeitvorstellung 2024/25 abwarten müssen, doch Runnicles zeigt sich schon startklar: „Ich bin überzeugt, dass ich gemeinsam mit diesem enorm engagierten Orchester Programme entwickeln und Konzerterlebnisse realisieren kann, die den hervorragenden Ruf der Dresdner Philharmonie weiter festigen und ausbauen. Dazu werden sicher auch internationale Tourneen, konzertante Opern und andere, ganz besondere Projekte beitragen. Schon jetzt steht fest, dass wir am 13. Februar 2025 Benjamin Brittens „War Requiem“ spielen werden – das ist mir als Brite und als Britten-Verehrer ein sehr wichtiges Signal für ein gemeinsames Erinnern.“

Beim Aufbruch in neue Zeiten trifft Runnicles auf ein bestens bestelltes Feld, das allerdings guter Pflege bedarf. Dass er hier auf ein durchaus begeisterungsfähiges Publikum treffen wird, dürfte ebenso unbestritten sein wie sein Können. Zu wünschen ist den Dresdnern eine vor allem zeitgemäße Persönlichkeit, die Musik und Menschen in der Stadt zu verbinden weiß, aber gleichzeitig auch die Profilierung des Orchesters nicht nur zu halten vermag, sondern auch mit eigener, ausdrucksstarker Handschrift bereichert. Noch in dieser Saison kann man Runnicles live am Pult der Dresdner Philharmonie erleben, am 1. und 2. März 2024 stellt er Werke von Maurice Ravel und Claude Debussy Alexander Skrjabins visionärer Tondichtung „Promethée“ gegenüber – das klingt nach einem vielversprechenden und vielfarbigen Auftakt.

Foto (c) Simon Pauly

(Text abgedruckt in den Dresdner Neuesten Nachrichten, 21.12.2023)

 

 


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Veröffentlicht in Dresden Features Weblog

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