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Hängende Gärten, Spieluhren und Resonanzräume

Das Klangforum Wien spielte sein 3. Zykluskonzert im Konzerthaus Wien

Das dritte Konzert des Zyklus Klangforum Wien im Wiener Konzerthaus bot wie auch die vorherigen Abende eine Menge Abwechslung. Neben Klassikern des 20. und 21. Jahrhunderts hat das Spezialensemble für zeitgenössische Musik immer wieder Entdeckungen auf der Agenda oder übernimmt neue Werke als Erstaufführungen in Wien. Letzeres galt gleich für den eingangs dargebotenen Liederzyklus „Das Buch der hängenden Gärten“, Op. 15 von Arnold Schönberg. Obwohl es in einer frei-suchenden Schaffensphase von Schönberg zwischen Spätromantik und Zwölftonmusik angesiedelt ist, sind Aufführungen recht rar, was möglicherweise an der im letzten George-Gedicht heraufbeschworenen Atmosphäre der „überwölkten und schwülen Nacht“ liegt , die wie ein Flor über den ganzen Zyklus gebettet scheint. Das allein stellt schon in der originalen Klavierfassung eine Herausforderung dar – wie trifft man diesen porzellanesken Ton, ohne an Kitsch, Nostalgie oder gar Unterspannung zu schrammen?

Vielleicht war dies auch eine der Aufgaben, die sich der österreichische Komponist Richard Dünser 2010 stellte, als er entschied, den Zyklus für Kammerorchester zu instrumentieren und somit die „hängenden Gärten“ tatsächlich auch im Klang zu kolorieren. Dünser geht mit Bedacht zwischen Linie und Harmonik an die Instrumentation heran, versucht aber auch Eigenheit einzubringen, wie es sicher auch im „Verein für musikalische Privataufführungen“ gern gesehen worden wäre. Die Sopranistin Magdalena Anna Hofmann zeigte mit ihrer wandlungsfähigen Stimme viele Schattierungen der Musik, die zwischen einem fast am Sprechen und Raunen entlangzeichnenden tiefen Register und ab und an auffahrender Dramatik in großen Linien pendelt, aber nie den liedhaften Rahmen verläßt. Darum wussten auch die Musiker des Klangforum Wien, die unter Leitung des seit vielen Jahren am Pult des Ensembles geschätzten Sylvain Cambreling eine feine Kammermusik zelebrierten, die eben genau den Raum für Poesie ließ, am schönsten war dies in den zentralen Sätzen neun bis elf zu verfolgen, in der sich Natur und Liebe zu intensiven Gedankenbildern vermengen.

Das zweite Werk des Abends im Mozart-Saal  waren die „Canti per 13“ aus dem Jahr 1955 von Luigi Nono. Nun ist natürlich die Meisterschaft des Komponisten unbestritten, allerdings wirkte sowohl die Platzierung des Stücks nach diesem großen Zyklus unangenehm, und es gab auch trotz der sicher kompetenten, teilweise sehr phonstarken Interpretation keine Signale, warum man dieses staubtrockene serielle Stück Musik der Schublade wieder und wieder entreißen sollte. Natürlich darf man auch einmal Studien und Experimente präsentieren, allerdings stand dieses Stück in seiner Blutleere in unpassender Nachbarschaft. Möglicherweise hätte ein musikalischer Rahmen, der Abstraktion und Serialismus intensiver befragt hätte, mehr Erkenntnisse gebracht.

Nach der Pause ging es mit einem erstaufgeführten Werk von der in den USA lebenden britischen Komponistin Hannah Kendall weiter. Die Werkeinführung im Programmheft hinterließ einige Rätsel zur Herkunft der Komponistin und ihrem Bezug zu Plantagenarbeitern (von wo und wann auch immer), die offensichtlich im Stück eine Rolle spielten. Trotzdem war das Stück stark genug in seiner Eigenwirkung und gehört zu einer ganzen Reihe von Kompositionen, die heute in der zeitgenössischen Musik starke Brückenfunktionen hin zu gesellschaftlich-sozialen Themen einnehmen. Klänge werden so zu Botschaftsträgern, Symbolarchitekturen, die nicht für sich selbst stehen, sondern hinter der Musik stehende Prozesse und Zustände (ansatzweise) aufdecken, so dass man als Zuhörer stark gefordert ist, sich damit auseinanderzusetzen. Manchmal allerdings reichen solche Werke auch nicht über eine Art Betroffenheitskunst hinaus, das war hier gottlob nicht der Fall, weil die Komponistin, eine sinnliche Art fand, mit Historie und Gegenwart innovativ und spielerisch umzugehen und die Grenze zur Performance fast schon liebevoll geschrammt wurde, vermutlich aus der Sorge vor dem Banalen. Doch gerade ihr Umgang mit Spieluhren und der dazu gesellte Ensembleklang verriet sorgfältiges Aushören und führte tatsächlich zu spannungsvollem Hinhören.

Das stellte sich auch recht unmittelbar im finalen Stück des Abends ein – Beat Furrers Konzert für Klavier und Ensemble ist relativ klar in seiner Absicht formuliert, einen klingenden Resonanzraum für das Soloklavier zu erforschen und zu bespielen, dazu findet Furrer räumlich griffige und rhythmisch prägnante Figuren und eine knappe, dennoch füllige Gesamtarchitektur, die das Stück quasi als Wurf erscheinen lassen: das musste raus, und zwar genau so und nicht anders. Etwas unklar blieb mir die stark metallisch getönte Schlag-Ebene des Stücks, die eben andere Obertonwelten hervorruft als die der (natürlich ebenfalls metallischen) Saiten des Flügels, aber vielleicht ging es dem Komponisten genau um diese Bandbreite zwischen nicht mehr „musikartigem“ Geräusch und den vielfältigen Nachschwingvorgängen des Tasteninstruments. Joonas Ahonen stürzte sich am Klavier (mit Florian Müller am „Schattenklavier“ im Ensemble) mit Lust und Können in diese Aufgabe, Sylvain Cambreling entlockte dem Klangforum massige, ausdrucksstarke Klänge. Großer Beifall des zahlreich erschienenen Publikums belohnte die Musiker und machte schon wieder Lust auf den nächsten (bereits ausverkauften) Zyklus-Abend (17.1.2024), der dann komplett dem Komponisten Beat Furrer gewidmet ist.

 

 


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Veröffentlicht in Rezensionen Wien

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