Nein, von einem Rostropowitsch-Schwerpunkt beim Wiener Musikverein ist eigentlich nichts bekannt. Und doch hatten zwei Sinfoniekonzerte, die gerade einmal im Abstand von 24 Stunden im Goldenen Saal stattfanden, vielmehr zufällig gleich zwei Cellokonzerte auf dem Programm, die für den russischen Meistercellisten geschrieben und von ihm auch uraufgeführt wurden. Auf einer alten EMI-CD sind beide Konzerte mit ihm sogar nebeneinander verewigt, und zeitlich entstanden sie um 1969/1970 fast parallel, insofern war der Live-Eindruck nun ein besonderer.
Für solche Stücke braucht es Charaktertypen am Cello – natürlich ist „Slawa“ am Cello unerreicht, erst recht als Persönlichkeit, doch man merkt beiden Stücken an, dass es sich keinesfalls um unpersönliche Etüden oder kompositorische Extrovertiertheiten handelt, im Gegenteil. Trotzdem sind beide höchst unterschiedlich, ich würde aber behaupten, dass diese beiden Konzerte zu den besten des 20. Jahrhunderts gehören.
Da wäre zum einen das Konzert „Tout un Monde lontain“ des Franzosen Henri Dutilleux (1916-1913), ein musikalisch reichhaltiges Gemälde in fünf Sätzen mit viel Literaturbezug. Dutilleux‘ musikalische Sprache ist weit entfernt von einer illustrativen Nacherzählung von den unterlegten Gedichten aus dem Zyklus „Blumen des Bösen“ (Les Fleurs du Mal) von Charles Baudelaire, aber er ist ein Meister im Schaffen von Stimmung und Atmosphäre, im Umschreiben oder Erforschen tieferer Ebenen. Das macht es für den Solisten wie für das Orchester zu einer umfangreichen, sehr anspruchsvollen Aufgabe.
Am Freitag war es der Norweger Truls Mørk, der Dutilleux gemeinsam mit dem ORF Radiosymphonieorchester Wien und dem Franzosen Maxime Pascal zum Klingen brachte, und das war sehr exzellent. Mørk spielte auswendig und hatte mindestens ein Ohr immer „hinten“, wo das RSO darauf bedacht war, den Solisten trotz eines dichten, farbigen Orchesters optimal in Szene zu setzen. Wunderbar zeichnete Mørk mit der Percussion die feine poetische Ebene gleich zu Beginn und gerade die vielen lichten Räume in diesem Konzert, vor allem in „Miroirs“ kostete der Cellist gut aus, immer aufmerksam vom Orchester unterstützt, das sich im 3. Satz und in den „Hymnen“ am Schluss auch einmal zu wirbeliger Lebendigkeit aufschwang.
Damit nicht genug, erbat sich das Wiener Publikum von Truls Mørk eine Zugabe und der spielte gleich ein weiteres Stück, das Rostropowitsch uraufgeführt hat, nämlich einen langsamen Satz aus Benjamin Brittens 2. Cellosuite Op. 80. Das ORF Symphonieorchester gesellte zu diesen Cellowerken ein interessantes „Beiprogramm“, nämlich Arnold Schönbergs 5 Orchesterstücke, Op. 16, die in ihrer Art gar nicht weit entfernt von Dutilleux schienen (und in welchen Maxime Pascal besonderes Augenmerk auf die ganz leisen Töne der „Farben“ legte) sowie Debussys „Images pour Orchestre“, bei denen der französische Schwung noch nicht ganz freilag, auch wenn Maxime Pascal aufwändig motivierte und klare Vorstellungen hatte.
Einen Tag später, anderes Orchester, anderer Cellist, anderes Konzert. Aber mit Witold Lutoslawskis Cellokonzert, uraufgeführt ebenfalls 1970, gerade einmal zweieinhalb Monate nach Dutilleux, erneut ein Rostropowitsch-Stück, das aber ganz andere Herausforderungen bietet und auch in einer selbst für Lutoslawski geschärften und Dissonanz-Welten völlig selbstverständlich einflechtenden Klangsprache. Der Cellist Nicolas Altstaedt spielte ebenfalls auswendig und demonstrierte von den ersten Tönen an, dass er für jede Phrase dieses kantigen Werkes eine klangliche Antwort wusste. Immer wieder entspannen sich Dialoge mit dem Tonkünstler-Orchester im Hintergrund, die eher auf Konfrontation gebürstet waren und viel rhythmische Energie in den Mittelpunkt des Geschehens stellten.
Das Publikum am Sonnabend hatte an der Lutoslawski-Nuss etwas mehr zu knacken, obwohl Altstaedt eine hervorragende, lebendig zupackende Interpretation zeigte. Am Pult war die junge Norwegerin Tabita Berglund die aufmerksame Partnerin für die Begleitung im Orchester, sie hatte aber auch deutlich die Handschrift des Komponisten im Ausdruck geschärft, das zeigten gleich die Blech-Kaskaden zu Beginn und verschiedene flächige Passagen, die sorgsam ausgearbeitet wirkten.
Berglund hatte außerdem noch eine Beziehung zum Vortagskonzert, sie hat nämlich ihre musikalische Karriere als Cellistin gestartet und tatsächlich bei Truls Mørk studiert. Bei ihrer vierten Zusammenarbeit mit dem Tonkünstlerorchester zauberte sie bei den Musikern noch einen saftigen Sibelius-Klang hervor. Die selten zu hörende Tondichtung „Pohjolas Tochter“ Op. 49 profitierte von ihren dynamisch ernstgenommenen, breiten Linien und einer gut dosierten Dramatik, während die 5. Sinfonie Es-Dur nicht ganz diese Tiefe erreichte, was aber auch am Stück liegen mag, denn für meinen Geschmack verhakelt sich Sibelius hier doch ein bisschen viel im Kontrapunkt. Dennoch gibt es auch hier traumhaft schöne Passagen und Tutti-Steigerungen, insbesondere das Finale hatte Berglund wie aus einem Guss gestalten können.
Beide Konzerte bekamen reichen Zuspruch – schön, dass einmal diese Gegenüberstellung der beiden doch sehr eigenwilligen und doch meisterlichen Cellokonzerte des 20. Jahrhunderts gelang.
Fotos (c) Julia Wesely (2), wikipedia commons (1), Emil Zitarevic (1)
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Ich freue mich über die Ehrung von Rostropowitsch. Neben seinen vielen musikalischen Talenten beneide ich ihn auch, ( 🙂 ) dass er mit Galina Vishnevskaya verheiratet war, ene der besten Sängerinnen des Bolshoi-Theaters.
Ihre Aufnahmen waren auch Muster für eine Freundin, mit der ich vieles von Mussorgsky aufgeführt habe, Xenia Galanova.