Das Konzert der Wiener Symphoniker am vergangenen Wochenende im Wiener Musikverein stellte mit Gottfried von Einem, Richard Strauss und Franz Schubert drei Komponisten in den Mittelpunkt, deren Werke ein abwechslungsreiches Programm mit reichlich emotionalem Tiefgang ergaben. Das strahlt teilweise direkt aus den Kompositionen aus, erfordert aber auch damit vertraute Protagonisten, die eben in dieser Tiefe zu schürfen vermögen.
Beim neuen Chefdirigenten der Wiener Symphoniker, Petr Popelka, kann man sich sicher sein, dass er sich selbst bei augenscheinlich bekanntem Repertoire mit einer oberflächlichen Darbietung niemals zufriedengeben würde. Interpretation, das sieht man seinem Agieren am Pult an, ist für Popelka sinnliche Arbeit, fragende Beschäftigung, aber auch das lustvolle Herauskitzeln der Qualitäten seiner Musikerinnen und Musiker.
Somit war schon die Begegnung mit Gottfried von Einems Orchestermusik Opus 9 ein Erlebnis, weil Popelka hier auf Farbintensivierung setzte und dunkle und helle Teile der Partitur klar vom Orchester konturierte und voneinander abgrenzte. Das kantige Zupacken bekam dem Stück ebenso gut wie ein gewisses Strömenlassen, wobei Popelka auf das gegenseitige Zuhören setzte.
Sehr zeitnah zu dieser nach dem zweiten Weltkrieg komponierten Musik voller Licht und Schatten setzte Richard Strauss sich im hohen Alter mit den „Vier letzten Liedern“ 1947 noch ein Denkmal. Statt des leichten Capriccio-Tones wendet sich Strauss‘ Tonsprache hier zwar auch in die Retrospektive einer (versunkenen) Musikwelt, doch die Emotionen greifen viel tiefer, erreichen intime Sphären und davon sind sowohl die Gesangslinien als auch die räumliche Orchestergestaltung berührt. Das Vokabular und tiefe Verständnis für diese Musik besitzt die litauische Sopranistin Asmik Grigorian par excellence, und ihre kluge Gestaltung – unter anderem mit einer sehr natürlich wirkenden Tempowahl auch in den Binnenabschnitten – der vier sehr unterschiedlichen Lieder gelang so mühelos und unmerklich, dass man sich auf ihrer Stimme durch die Musik tragen lassen konnte – in Sphären, die irgendwo am Horizont weit hinter den physischen Wänden des Musikvereins lagen, und obwohl Grigorian von ihrer großen Stimme her mühelos ein an-die-Wand-singen beherrscht, lag ihre Kunst hier im forte dolce, das viel strömend und warm wirkt.
Petr Popelka breitete Grigorian dazu ein Orchesterbett aus, das bequemer hätte nicht sein können, er suchte immer wieder zarteste Farben und ließ die Solisten an der Geige und am 1. Horn brillieren, aber auch der warme Klarinettensatz oder Schattierungen der Streicher, die stets weich und homogen klangen, veredelten diese Interpretation. Und obwohl Popelka auch die Thielemannsche Kniebeuge für das pianissimo beherrscht, waren diese zurückgenommenen Klänge nie körperlos.
Melancholie und Gedanken des Abschieds waren in den Vier letzten Liedern stark präsent, hingegen schlugen Popelka und Grigorian nach der Pause dann hellere Töne mit drei weiteren, sehr bekannten Orchesterliedern von Strauss an. „Cäcilie“, „Morgen“ und „Zueignung“ gelangen nun als Plädoyer für das Leben und hinterließen ein begeistert applaudierendes Publikum.
Mit sanften und doch klar und bewusst gesetzten Tönen gestalteten die Symphoniker den Ausklang dieses Konzerts – die 7. Sinfonie in h-Moll, die so genannte „Unvollendete“ von Schubert ist ein reichlich bekanntes und gern gehörtes Stück, das seinen Reiz ebenfalls nicht im exaltierten Spektakel entfaltet, sondern in subtilen Klangnuancen. Die wusste Popelka beinahe mühelos mit dem Orchester nach einem fast unhörbar-sphärischen Beginn zu finden und fand mit einem sanft schwingenden Tempo auch einen Schlüssel zur großen Form der beiden Sätze – überzeugend!
Fotos (c) Amar Mehmedinovic
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