Hector Berlioz‘ Grand Opéra „Les Troyens“ als erste Premiere der Saison 2017/2018 an der Semperoper in Dresden.
Oh ja, was für eine wunderbare Gelegenheit, einmal alle trojanischen Pferde in der Stadt einzusammeln und auf die Bühne zu bringen. Vermutlich hätte dort dann kein Chorist, keine Sängerin mehr Platz gehabt, also wieder zurück in die Blase: hier die Semperoper, dort das tobende, leidende, gespaltene und vielfältig traumatisierte Völkchen, das sich in immer neuen Besetzungen zusammenfindet, das Karthago-Fähnchen mal auf dem Postplatz oder dem Neumarkt hisst. Doch hinter den Mauern, innen im schönen Rund Gottfried Sempers, dessen Baupläne (irgendeinen Bezug muss man ja bringen) der Kulisse im 1. Akt dienen, spielt man „Die Trojaner“, als wäre die Geschichte das Sonntagsmärchen im Kinderkanal. – Bloß nicht…, Oh Gott, das könnte ja… Nein, lassen wir besser. Zuwenig? Ach, dann wird mal fix kopuliert auf der Bühne, Gewalt gegen Frauen gibt’s ja überall, das sollte die Leute ins Nachdenken bringen. Und überhaupt geht es ja um Frauenschicksale, meint Lydia Steier – die Amerikanerin führt Regie bei dem vierstündigen Opernepos, in dem sich eigentlich zwei Opern verbergen. Man hat so oder so eine Menge Arbeit mit der Oper, das lehrt schon die Aufführungsgeschichte. Was Steier leider nicht gelingt, ist eine Botschaft zu überbringen, die zieht und/oder tief bewegt – was eigentlich mein Anspruch an jede Oper wäre, und sei es derjenige, perfekt unterhalten worden zu sein. Hier liegen die Ansprüche zwar tiefer, aber sie wurden bestenfalls angekratzt, der XXL-Pulli passt nicht richtig und so windet man sich in den fünf Stunden mit dem fein verdrehten Bühnentürmchen am Kern von Oper und Geschichte vorbei.
In Dresden erlebt man – am Premierentag, dem Tag der deutschen Einheit und steingedoppelt innerhalb der semperschen und gesellschaftlichen Mauern – ein Wechselbad der Gefühle, das zwischen tollen Einzelleistungen und einem brüchig bis belanglosen Gesamteindruck hin- und herschwankt. Fast nieselt das Tillichsche Geseier der Vorjahres-„Feier“ zum 3. Oktober noch durch das Opernrund: „Im Alltag der Menschen gab es gute und schlechte Zeiten.“ – Leider ist 2016 weder Troja noch Karthago nach dieser Rede untergegangen, Dresden allerdings schon ein bisschen mehr, unsere Gesellschaft womöglich schon längst. Lydia Steier läßt das alles kalt. Oper wird gemacht, und wenn zaghaft das Wort „Flüchtling“ auftaucht, der Aeneas nun einmal ist, wird daran christlich-sozial vorbeigebügelt, als handelt es sich bei der Anlandung an der afrikanischen Küste (sic!) um einen Kuraufenthalt in Bischofswerda.
Achja, wir brauchen Blut. Möglichst nur effektvoll aus einer Choristin herausgeflossen, pars pro toto, die Klamotten der anderen brauchen wir ja noch. 40 Frauensuizide auf offener Bühne, hallo, Frau Steier, sind Sie wach? Nein. Die Regisseurin suhlt sich stattdessen mit dem Kostümbildner Gianluca Falaschi im Fin de Siècle, der aber auch nur dort, in der Kostümebene, stattfindet, und das auch noch als vorsichtige Karikatur (siehe oben: „bloß nicht“, „oh nein“), sowas geht nunmal immer schief. Hmja, das war vor zwei Weltkriegen. Hmja, hier stehen auch zwei Völker vor dem Untergang auf der Bühne. Was bedeutet das denn? — Ach nein, jetzt kommt ja die schöne Arie. Und eigentlich geht es doch um Liebe? Nein, Frau Steier. Stopp. Hier, in dieser Oper lautet der letzte Satz eben nicht „Ach, er hat mich verlassen“, sondern „Haine éternelle à la race d‘
Szenisch spielt der Chor die Hauptrolle und brilliert auch hier – allerdings ist Steiers Theaterfass nach den ersten zwei Akten auch ausgekippt. Schon hier wartet man vergeblich auf irgendeine Eingebung, sei sie choreografischer oder visueller Art, die in irgendeiner Weise die Szene bricht, unter die Handlung kriecht, sich wenigstens ein bisschen entfernt vom Darstellen des Gewöhnlichen – Ach, bloß nicht! Die Überzeichnung und Parodie gelingt an so vielen Stellen nicht, weil sie sich nicht Bahn bricht, sondern in einer Vitrine der Verkrampfung verbleibt. Das geht schon bei dem furchtbar beliebigen Bühnenkonstrukt (Stefan Heyne) eines Weltausstellungspavillons los, der eben überhaupt nicht das Zeug zum Zusammenbruch hat. Hier und da wird geschossen, werden Fackeln und Donner bemüht, schließlich hinken sogar die Szenenübergänge und mit den wunderbar mehrbödigen sinfonischen Zwischenspielen kann Steier überhaupt nichts anfangen. Es rinnt der Regisseurschweiß – Jonglage muss her! Oh nein.
Bleiben die Sänger und die Musik. Berlioz geht immer? Vorsicht, der Kerl wusste zu instrumentieren und selten liegt eine Opernpartitur so nackt und bloß da, sind in einem vermeintlich stehenden Höhepunkt noch brachiale Streicherfiguren eingewoben oder schlägt der harmonische Spaziergang durch Didons kathargischen Garten überraschende Haken. Gefeiert werden die Damen in ihren Hauptrollen zu Recht: Christa Mayer (Didon) und Jennifer Holloway (Cassandre) überstrahlen das komplette Ensemble. Énée wird vom Amerikaner Bryan Register gegeben, der Tenor ist nicht wirklich in der Verfassung für diese Partie und wirkt spielerisch unsicher, schaut ständig zum Dirigenten – ursprünglich sollte Eric Cutler diese Partie singen. Christoph Pohl (Chorèbe) und Evan Hughes (Narbal) überzeugen ebenso wie Joel Prieto und Simeon Esper, die ihre Bühnenlieder zum Weinen schön vortragen. Eine Entdeckung ist die polnische Sängerin Agnieszka Rehlis (Anna) mit ihrem kraftvoll strömenden Mezzosopran und intensivem Spiel. Am Dirigentenpult der Sächsischen Staatskapelle Dresden steht – anstelle des bisher angekündigten Lothar Koenigs – der Amerikaner John Fiore. Der Opernexperte hält viel zusammen und sorgt für ordentlich Schwung in den großen Szenen: Tschingderassabumm! Trotzdem: zwischen Bühne und Graben klafft an diesem Abend eine Lücke, will auch das nicht bewegen und treffen, was musikalisch mit aller Kraft und allem Wollen erzeugt wird. Fiore fährt über viele Dinge hinweg, die dann prompt unterspannt wirken oder eben nur routiniert. Steigerungen wirkten immer wieder hitzig, Kammermusikalisches verbannt Fiore an den Rand des Kitschs. Das hat Berlioz eigentlich nicht verdient.
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Fotos: (c) Forster / Semperoper
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