Portraitkonzert Wilfried Krätzschmar im „Klangnetz Dresden“
Die Dresdner Musiklandschaft wird in den nächsten vier Jahren dank der neuen Einrichtung des „Klangnetz Dresden“ deutlich von zeitgenössischer Musik geprägt sein, stärker noch als es bisher ohnehin durch viele engagierte Musiker, Komponisten, Ensembles und Institutionen in der Stadt geschieht. Denn das Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes ermöglicht nun nicht nur sporadische, individuelle Konzerte, sondern setzt auf Netzwerk und Vermittlung. Einen der wichtigsten „Verkehrsknotenpunkte“ stellt im Projekt die Hochschule für Musik Dresden dar. Dort fand auch am Mittwoch innerhalb einer neuen Workshopreihe „Komponieren in Sachsen“ ein umfangreiches Portrait des Dresdner Komponisten und ehemaligen Rektors der Musikhochschule Wilfried Krätzschmar statt. Nach einer Vortragsveranstaltung am Nachmittag widmete man sich am Abend der vielfarbigen Kammermusik Krätzschmars. Interessant war vor allem die Gegenüberstellung alter und neuer Werke, wobei Krätzschmar im Gesprächsteil des Konzertes nicht nur die Wende als besondere Schnittstelle im OEuvre hervorhob. Auch die Beendigung seines Rektoratsamts war eine Zäsur, die nach 2003 Raum für neue Werke erkennen ließ. Im Ablauf der Stücke im Konzert waren aber diese biografischen Markierungen kaum fühlbar, denn jedes einzelne Werk blieb ein „echter Krätzschmar“. Denn schlicht unverwechselbar ist in Krätzschmars Kompositionen die formale Sicherheit, die Sinnlichkeit des Gestischen und die Unverzagtheit, ja der Mut, den Krätzschmar im schmalgradigen Bereich des Halbszenischen aufbringt. So gerät man als Zuhörer ins Wanken, ins Trudeln, und das mit voller Absicht, aber auch mit vollem Genuss. Es entsteht ein akustisches Schwindelgefühl, das Krätzschmar in seinen Partituren fein kalkuliert. Rasch stellte sich dieser Schwindel im Ensemblewerk „… possibilmente alla serenata …“ (1989) schon angesichts des Gedankens ein, dass das Stück nach dem Willen der Musiker auch zwei volle Tage dauern könnte. Müde würde man beim Zuhören wohl dennoch nicht, auch wenn der Posaunist zum x-ten Mal am Rande seiner Luftmöglichkeiten um die Töne ränge. Solch akustischer Seiltanz setzte sich im „TANGO“ für Klavier zu vier Händen fort. Hier sind es vor allem rhythmische Wucherungen, die den Eindruck einer argentinischen Bandoneontruppe vor einem riesigen Zerrspiegel entstehen lassen. Der Tango-Tanzboden federte durch, auch wenn die gehämmerten Rhythmen beizeiten den Systemkollaps markierten. Die beiden koreanischen Studenten leisteten hier Außergewöhnliches, ebenso wie Seong Ryeom Lee an der Großen Trommel in der „sérénade noire“ – oder hat man vor diesem Konzert gewusst, dass dieses Instrument auch sprechen, singen, klagen, juchzen und töten kann? Am Ende des Konzertes stand das „scenario piccolo“ für einen Pianisten und Instrumente aus dem Jahr 1986. Hier wagte sich Krätzschmar doch weit über den Rand des Subtilen hinaus und stellte einem nahezu hyperaktiven Instrumentalensemble eine apathische Theater-Pianistin gegenüber; ein nacktes, offenes Spiel mit Kontrasten anstelle braver Kammermusik. Was folgte, war ein pures Drama instrumentaler, musikalischer und musikantischer Natur. Krätzschmars Werke hinterließen starke Eindrücke, und bei den für ihren ehemaligen Rektor äußerst engagiert agierenden Studenten der Dresdner Musikhochschule (in der bewährten Gesamtleitung von Christian Münch) waren die Kompositionen in besten Händen.
Ein Kommentar