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Hojotoho !!

Sie waren besser angezogen. Sie waren einfach alle besser angezogen als er. Er hielt wenig von Konventionen, er wusste wie man sich in der Oper zu verhalten hatte, das reichte ihm. Und er war den Bonbonpapierzertrümmerern und Hypochonderasthmatikern im Geiste voraus: er war doch lediglich zum Hören dieser wunderbaren Musik gekommen, hatte lange auf die Karte im Parkett gespart. Das Kleid der Dame da neben mir hat bestimmt mehr als 500 Euro gekostet, dachte er. Aber von der Oper verstehen wird sie vermutlich nichts. Seine Theorie wurde bestätigt, als die Dame in dem Moment, wo der Dirigent im Orchestergraben erschien, sich nervös ihre Fingernägel besah und anhauchte. Es wurde ruhig in der Oper, alle Lichter verloschen. Die Dame neben ihm stellte eine leichte Imperfektion im Nagelbett ihres Zeigefingers fest und öffnete ihre Lederhandtasche, um nach einem Taschentuch zu nesteln. Erst beim Klicken des Verschlusses merkte sie die Stille um sich herum und wandte sich mit einem unsicheren „hü“-Laut ihrem Gatten zu, im Blick lediglich die leere Dummheit klimpernd: „sorry Hase, aber der Nagellack…“ sagten die Augen stumm. – Er konzentrierte sich nun auf die Oper. Es-Dur…leise Girlanden durchzogen die Streicher, ein feiner gewebter Teppich aus akustisch glitzerndem Gewässer, das sich wie eine wohltuende Decke im Opernbau ausbreitete. Der Herr rechts neben ihm starrte nach oben und studierte den Kronleuchter. Das Ehepaar vor ihm hatte offenbar kein Programmheft mehr erhalten, weshalb die Ehefrau nicht mehr an sich halten konnte und ihrem Gatten die hochnotpeinliche Situation ins Ohr zischte: „ichhabkeinentext“, wobei das Ende dieses Satzes in einem winzigen hysterischen Piepser endete. – Es-Dur. Er versuchte die Konzentration wieder auf die Bühne zu lenken, wo gerade der Vorhang aufging und das Orchester zu immer lauterem Wogen anschwoll. Nachdem der Herr neben ihm offenbar festgestellt hatte, dass der Kronleuchter etwa vier Tonnen wog und aus 3153 Glühlampen bestand, gähnte er herzhaft und besah sich als nächstes die Logen. Weit über 100 Takte Es-Dur waren ihm wohl zu fad, die Genialität dieses Beginns blieb ihm verborgen. Mittlerweile hatte die Dame links mit einem Tempotuch ihr Nagellackmalheur entfernt. „Rheeeeeeeiiiiiinnnnnngold“ flöteten die Rheintöchter auf der Bühne, Harfen und Becken gesellten sich ins Orchestertutti. Hinter ihm fiel mit leisem Dok-dokdokdok ein Handy zu Boden, gefolgt vom Fußscharren des Besitzers unter dem Sitz, es wieder in seine Nähe zu manövrieren. Als die Ehefrau vor ihm sich gerade bei ihrem Gatten erkundigte, ob der Babysitter auch gekommen sei, in Luftline 2m links hinter ihm und 4m rechts vor ihm die ersten einwandfrei als solche identifizierten Wick-Blau entfaltet wurden und der Herr hinter ihm zwar sein Handy wiedergefunden hatte, wohl aber auch den Weckruf vom vorigen Tag vergessen hatte abzuschalten, betrat Alberich die Bühne.
Wagner kann so schön sein.

[mein Juni-Beitrag zur SchreibwerkstattMitmachen macht Spaß!]

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