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Dem Gedenken folgt das Nachdenken

5. Philharmonisches Konzert mit Bernstein und Schostakowitsch zum 13. Februar

Es ist Tradition in Dresden, dass zum Gedenktag am 13. Februar die Erinnerung und das Totengedenken nicht nur verbal, sondern auch musikalisch bekundet wird. Der 13. Februar hat über seine historische Bedeutung hinaus in der Stadt bereits eine Rezeptionsgeschichte des Erinnerns, die sich vom intimen, persönlichen Gedenken bereits zu einem humanistischen Akt erweitert hat, der nicht nur Vergangenes einbezieht, sondern bewusstes Gestalten der Gegenwart manifestiert: Dieser Wahnsinn darf niemals wiederkehren. Insofern war das 5. Philharmonische Konzert der Dresdner Philharmonie am Gedenktag der Stadt ein wachrüttelndes Ermahnen, Reflektieren, gar Schreien und Stampfen für einen humanistischen Gedanken, für einen gelebten Glauben, der weder ethnische noch musikalische Grenzen kennt. Die Dramaturgie des Konzertes war überzeugend, zwischen zwei Werken von Leonard Bernstein war die Kammersinfonie nach dem 8. Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch platziert. Das Stück zählt zu den eindrucksvollsten Trauermusiken des 20. Jahrhunderts und hat überdies einen direkten Dresden-Bezug: Schostakowitsch schrieb das Quartett unter dem Eindruck seines Besuchs in Dresden im Jahr 1960. Der Komponist widmete es „den Opfern des Faschismus und des Krieges“ und verarbeitete in dem Werk sowohl die Eindrücke des zerstörten Dresdens als auch rückblickend die eigene, schmerzliche Vita – viele Selbstzitate weisen auf diese Reflektion hin.
Die Dresdner Philharmonie und der japanische Gastdirigent Yutaka Sado gestalteten das Stück höchst eindringlich. Sado lag hier auf einer Wellenlänge mit dem Orchester und schaffte es, dass die Intensität durch einen nahezu „sprechenden“ Tempofluss stets hochgehalten war und die wenigen forte-Attacken wie Nadelstiche wirkten. Zuvor machte die Philharmonie die Zuhörer mit den drei Meditationen aus „Mass“ von Leonard Bernstein bekannt. Mit einem wunderbar ruhig angelegten Legato-Ton konnte Solist Ulf Prelle hier eine große Klangrede formen, die das Orchester etwas uneinheitlich beantwortete – zu neu und ungewohnt war wohl diese Partitur, die aber auch losgelöst von der „Messe“ nur teilweise in den Bann zu ziehen vermag. Mit der 3. Sinfonie „Kaddish“ von Bernstein gelang dann nach der Pause das Kunststück eines universell gemeinten und gleichzeitig persönlich formulierten Glaubensbekenntnisses. Die eigenen Unzufriedenheit Bernsteins mit dem Werk – man möchte es eine „kreative Unruhe“ nennen – zeigt ja gerade die dauerhafte, lebendige Auseinandersetzung eines Menschen mit Überzeugungen, Glauben und Gott. Das vermutlich aufgrund seiner extremen Anforderungen viel zu selten aufgeführte Stück beeindruckt als einzige große Anrufung, als Glaubensvision und Verarbeitung von Schrecken und Lebenskampf. Der Bernstein-Schüler Yutaka Sado dürfte einer der besten Kenner des Stückes sein und formte (übrigens bereits zum zweiten Mal in Dresden) eine oft laut herausbrechende, emotionsreiche Interpretation, die aber souverän und kontrolliert wirkte. Dass es für die zahlreichen sensiblen Schichten des Werkes akustisch besserer Bedingungen bedarf, ist müßig zu erwähnen. Steffen Schubert (Ernst-Senff-Chor Berlin) und Jürgen Becker (Philharmonischer Kinderchor Dresden) hatten ganze Arbeit an der schwierigen Partitur geleistet. Annette Jahns traf in der Gestaltung der umfangreichen Sprecherrolle in überzeugender Weise genau den sensiblen Bereich, der zwischen persönlichem Bekenntnis und literarischem Ich steht und konnte so die Botschaften des Stückes transportieren. Die Sopranistin Kelly Nassief war für die erkrankte Jutta Koch eingesprungen, trotz ihrer Vertrautheit mit dem Werk konnte ihre die stimmliche Darstellung nicht überzeugen. Angesichts des äußerst hohen Anspruches des Philharmonie-Konzertprogramms zum 13. Februar verwandelte sich das Gedenken unversehens zum Nachdenken über niemals veraltende zentrale Fragen des Lebens. Kann ein Konzert mehr leisten?

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