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Vorwärts und rückwärts: Tempora mutantur

Haydn, Morawitz und Gushchyan im Konzert von Sinfonietta Dresden

Beim dritten Konzert der neuen Reihe „Spiegelungen“ der Sinfonietta Dresden widmeten sich Musiker, Komponisten und Rezitatorin diesmal dem Thema Zeit. Zeit-Kunst als Gestaltungsmittel der Musik ist mal mehr, mal weniger im Vordergrund des Focus der Komponisten. Aber schon der Einsatz einer Generalpause, einer Fermate, eines offensichtlich „zu langen“ Tones läßt uns in der Musik aufhorchen und wir beschäftigen uns mit der (komponierten) Zeit. Literatur und Malerei sind indes in der Lage, sich ihr betrachtend und reflektierend zu nähern, wenngleich auch Phänomene wie Erinnerung, Zerfall oder Vorausschau mit der Zeit spielen und sie zum Gegenstand erheben. Joseph Haydn hat wenig Probleme, auf die Zeit aufmerksam zu machen: es genügen einige Stillstände und Pausen, um ein ganzes sinfonisches Gefüge aus der Bahn zu werfen, ob ironisch-absichtsvoll oder ernsthaft-irritierend, bleibt offen. Ekkehard Klemm und die Sinfonietta arbeiteten mit Unterstützung von Helga Werners Rezitation von Christian Morgenstern (der sich übrigens kongenial mit Haydn verbindet) die Besonderheiten der 64. Sinfonie „Tempora mutantur“ heraus. In der Klangkultur des Ensembles ist in der Genauigkeit der Phrasierungen und der Grundintonation Potenzial vorhanden, dies betraf diesmal sowohl die klassische wie die neue Musik und dürfte zeitlichen wie besetzungstechnischen Gründen geschuldet sein. Die Platzierung der Sinfonie ziemlich genau in der Mitte des Programms erzeugte eine weitere „Korfsche Uhr“, vorwärts und rückwärts weisend. Den Rahmen bildete Neue Musik, und auch die Textauswahl war hier mit Dzevad Karahasan und Ingeborg Bachmann avancierter und sorgte für eine eigene Ebene von Denkanstößen. Überhaupt war die Auswahl derart inspirierend, dass eine genaue Quellenangabe im Programm künftig zum Wiederauffinden und Weiterlesen empfohlen sei. Zu Beginn erklang eine Uraufführung des Dresdner Komponisten Alexander Morawitz. „Arktisches Licht“ hebelt auf seine Weise die Zeit aus, denn in nordischen Gefilden scheint sie oft stillzustehen, gigantische Standbilder rufen fast automatisch Klänge hervor. Ob sich diese eigenen Vorstellungen mit den Fantasien von Morawitz decken, war die spannende Frage beim Zuhören. Dies hätte aber auch nur funktioniert, wenn Morawitz eine illustrative sinfonische Dichtung geschrieben hätte. Einige Male, etwa im unisono-Abschnitt oder in besonders flächigen, irisierenden Passagen, näherte er sich diesem Genre gefährlich, aber das Stück bezog seine Stärke durch die ungezwungene Neugier auf subtile Klanglichkeit und natürlich auch durch das recht offenbare „Vergessen“ der Zeit. In der Wirkung des Werkes trat eine Problematik durch eine klangliche Unschärfe auf, bei der nicht immer klar war, ob sie absichtsvoll durch den Komponisten geformt war. Ganz anders verlief die Begegnung mit dem Armenier Arman Gushchyan (*1981). Dessen Kammersinfonie „Erlangung“ spart nicht mit gewaltig aufgetürmten Klangmassen und fasziniert im ersten Teil durch spannungsgeladene solistische Passagen. Der Komponist exerziert einen Übergang zwischen verschiedenen Stilistiken und landet schließlich – zu Hause, denn gerade die armenische Musik ist stark traditionell bezogen. Diese melodisch-melancholischen Elemente waren dann auch sehr stimmungsvoll eingesetzt, wurden allerdings zum Schluss hin zu sehr in finaler Bombastik vereinnahmt. Ekkehard Klemm und das Ensemble zeigten erneut großen Einsatz für ein dramaturgisch hervorragend ausgearbeitetes Programm. Die Überschneidung mit dem gleichzeitig im selben Haus stattfindenden Konzert von „Lied in Dresden“ demonstrierte einen eng gestrickten Terminkalender der Dresdner Musikkultur, der an manchen Stellen besserer und langfristigerer Absprachen bedarf.

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