Tschaikowsky und Schostakowitsch im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
Vorbei ist die Silvesterseligkeit mit leichter Muse – gleich das erste Sinfoniekonzert der Staatskapelle im neuen Jahr widmete sich in Gestalt der 4. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch existenzieller musikalischer Ausdruckskraft. Vorangestellt war das Violinkonzert von Peter Tschaikowsky – ein hinlänglich bekanntes und geschätztes Repertoirestück, das aber in der Nachbarschaft zur sinfonischen Wucht nach der Pause kaum ins Erinnerungsgewicht fiel. Wohl aber bleibt die Interpretation im Gedächtnis, mit Vadim Repin stand ja immerhin ein russischer Teufelsgeiger zur Verfügung. Wer nun eine „authentische“ Darstellung erwartete, durfte seinen Horizont erweitern, denn wer will den Anspruch erheben, das spezifisch russische Element der Musik eindeutig erfassen zu können?
Repin versuchte es mit makellosem Schmelz, der nur in der Exposition des 1. Satzes etwas lapidar und unauffällig wirkte. Dass Repin ein Meister von Virtuosität und Geschwindigkeit ist, weiß das Dresdner Publikum von seinen Gastspielen, allerdings sei die Frage erlaubt, ob die im Kopfsatz erfolgte Demonstration geflitzter Passagen wirklich adäquat ist; trotz vertracktem solistischen Part ist dieses Konzert bei weitem keine Konzertetüde. Man hechtete mit dem Hören hinterher und verstand überdies nicht, warum das Orchester unter der höchst detailgenauen Leitung von Vladimir Jurowski in der Partitur ganz andere Tempoauffassungen vorfand. So konnten sich die Ebenen zwischen Virtuosensport und empfundenem Ausdruck (die Canzonetta gelang wunderbar) vor allem im 3. Satz nicht immer einpendeln – der Eindruck blieb zwiespältig.
Nach der Pause füllte sich die Bühne – Dmitri Schostakowitschs 4. Sinfonie c-Moll verlangt nicht nur ein Riesenorchester, die 60-minütige Partitur reizt dynamische, harmonische und rhythmische Möglichkeiten bis ins Extrem aus und erschüttert auch ein dreiviertel Jahrhundert nach ihrer Vollendung noch durch ihre direkte Ansprache und einer Apotheose der Farben und Formen. Dass am Ende nach einer spannungsvollen Stille im Opernrund ein sichtlich mitgenommener Vladimir Jurowski einen wahren Beifallssturm entgegennehmen durfte, war Ausdruck einer exemplarischen, höchst intensiven Interpretation.
Ein überaus zwingend nach vorne gerichtetes Moderato bestimmte den ersten Satz, in dem Jurowski vor allem den Holzbläsern harsche Klangfarben zuordnete, die in jeder Brahms-Sinfonie zum Rauswurf führen würden. Doch eben diese Schärfe und Genauigkeit, dieser letzte Wille im Ausdruck war das Besondere dieser Interpretation. Dies manifestierte sich vor allem im höllenartigen Fugato, nach welchem der 1. Satz kaum beruhigt auspendelte. Jurowski wahrte auch im 2. Satz die Übersicht und legte dann das Finale als Kompendium aus Schostakowitschs Frühwerk an: Ballettklänge überschlugen sich mit anrollenden avantgardistischen Stürmen; immer wieder brachen sich solistische Stimmen Bahn, so etwa die ausgedehnten Monologe für Fagott und Posaune. In der Kapelle perfekt, musikalisch und musikantisch ausgeführt. Mit diesem Programm gastiert das Orchester in dieser Woche in Paris und Köln – in der derzeitigen Form und mit einem solch impulsiv-kompetenten Dirigenten am Pult wird sich das dortige Publikum auf herausragende Konzerte freuen dürfen.
Übrigens besorgte die Staatskapelle Dresden auch die deutsche Erstaufführung der 4. Sinfonie im Februar 1963, zwei Jahre nachdem das Stück in Russland durch das Engagement von Kyrill Kondraschin uraufgeführt wurde – Schostakowitsch selbst hatte das Werk 25 Jahre zurückgehalten und damit womöglich weitere Repressalien gegen ihn und seine Musik verhindert. In der Staatskapellen-Edition ist die Aufnahme des DDR-Rundfunks von 1963 unter Leitung von Kyrill Kondraschin wieder zugänglich geworden und stellt auch klangtechnisch eine höchst aufschlussreiche, wenn nicht gar authentische Dokumentation dar, denn Schostakowitsch vertraute Kondraschin, dieser wiederum hatte eine exzellente Beziehung zum Dresdner Orchester. Hörenswert.
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