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Am Ende ist man „durch“

Porträt Jani Christou bei den Dresdner „Tonlagen“ in Hellerau

Dass zeitgenössische Musik den Horizont der Erfahrung des Tönenden erweitert, uns damit bereichert, wissen die Zuhörer, die offenen Ohres Konzerte mit solcher Musik besuchen. Der Akt der Befriedigung von Neugier, der Weiterentwicklung bereits gefasster Gedanken oder der von Überraschung und Übertölpelung, das alles kann zeitgenössische Musik leisten. Besonders beeinflusst durch die Darmstädter Schule und Entwicklungen nach dem 2. Weltkrieg gab es eine Reihe von Komponisten, die die Musik radikal immer wieder auf den Prüfstand stellten und stetig zu erneuern versuchten.

Karlheinz Stockhausen etwa ist heute aufgrund eines großen, innovativen OEuvres eine der Vaterfiguren dieser Ästhetik, die sich schnell verzweigt und heutzutage im Rund der vielen Komponistennamen manchmal schwer auszumachen ist. Dem griechischen Komponisten Jani Christou war bei den „Tonlagen“ in Hellerau ein Porträtkonzert gewidmet – nach dem Konzert zweifelte man, ob das zu beobachtende Vergessen dieses Komponisten wirklich mit seiner Biografie (Christou starb 1970 im Alter von 44 Jahren bei einem Autounfall) oder vielmehr der Radikalität seiner Werke zu tun hat, dem sich selbst in der Neue-Musik-Szene nur wenige Ensembles widmen wollen oder können.

Denn dazu gehört eine Menge Mut, und dem Dresdner Ensemble Courage ist die Begegnung und die Umsetzung der Werke von Jani Christou in einer Weise gelungen, dass man nur den Hut ziehen kann vor solcher Aufrichtigkeit im musikalischen Tun. Denn Christou ist radikal in einer Weise, die Interpret wie Zuhörer direkt und unmittelbar berührt, verletzt, reinigt, erschüttert. Und das kann alles zugleich passieren. Auf Basis breiter philosophischer Erfahrung, im Kontext der politischen Entwicklungen der 60er-Jahre entstehen Werke, die über den Notentext hinaus in körperliche Erfahrungen von Improvisation und Entäußerung münden. In „Anaparastasis I“ ist die Baritonpartie (mühelos Grenzen sprengend: Cornelius Uhle) diesen Wandlungen ebenso unterworfen wie Orchesterpart und Dirigententätigkeit, dies setzt sich in „Praxis for 12“ für 11 Streicher und Dirigent in einer fast spielerisch-klaren Variante fort und erreicht in „Anaparastasis III“ den Zustand des Exzesses (mit großer Spannung impulsgebend hier die Tänzerin Katja Erfurth als Pianist-Performerin).

Dass am Ende die Bühne ein Schlachtfeld ist, die Interpreten ebenso „durch“ sind wie manche Zuhörer, gehört unbedingt zur Konfrontation mit Christou dazu. Doch keinesfalls ist Christous Musik bloßer Krach, dafür sind viele Passagen äußerst sensibel angelegt, bricht sich die Gewalt eben als natürlich Ur-Äußerung Bahn, die Meta-Ebenen freilegt und sich von heutiger negativer Konnotation befreit. So verrückt es klingt: wenn man den klischeehaften Satz „Trommel dich frei“ ernst nimmt und sich von Christou unter Einsatz des vollen Bewusstseins und der körperlich verfügbaren Kraft an die Hand nehmen läßt, entsteht etwas wirklich Neues, vielleicht Unbeschreibbares. Gut, dass Christou zwei Werke zur Seite gestellt wurden, die ein Seitenfenster öffneten: Sergej Newskis „J’etais d’accord“, die quasi die Christou’sche Musizierhaltung wie in einem übersetzten musikalischen Gestus unter ein Brennglas nimmt (und gleich der Ort der Kunstausübung selbst – ein LEGO-Modell des Festspielhauses mit dem Hammer zerstört wird) und Francesco Filideis „Funerali dell’Anarchico Serantini“ für 6 Spieler, deren Anti-Haltung der Illustration einer Katastrophe ebenfalls Christou in einer konzentrierten Form kommentiert. Titus Engel und seinem Ensemble Courage ist zu danken für einen Abend, der im Sinne von Christou eine Menge Seele schuf, und wo, wenn nicht in diesem Zusammenhang, ist ein markerschütternder Schrei glaubhaft und ernst.
(5.10.12)

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Veröffentlicht in Rezensionen

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