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Feinfühlig und hochvirtuos

Ensemble Contempo Beijing gastierte in Hellerau

Mit einem außergewöhnlichen Gastspiel wurden am Donnerstagabend die „Tonlagen“ im Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau fortgesetzt. Der Blick über Genre- und Ländergrenzen gehört im Festival immer dazu. Dass China am Freitagabend in den Focus geriet, ist nicht bloß eine Multikulti-Angelegenheit, sondern soll die Bestandsaufnahme einer ganz aktuellen Entwicklung darstellen.

Das Schlaglicht auf chinesische zeitgenössische Musik mit dem Ensemble Contempo Beijing ist allerdings vom Dialog zwischen Deutschland und China bereits geprägt – das Ensemble entstand erst 2011 als Ergebnis einer Zusammenarbeit des Central Conservatory of Music in Peking mit der Siemens Stiftung; die Akademie des Ensemble Modern unterstützte das Projekt, das chinesische Musiker im Ensemblespiel förderte und mit dem Gründungskonzert des neuen Ensembles beendet wurde. Hier taucht natürlich die Frage auf, ob denn China vordem keine zeitgenössische Musik besessen hat. Dies muss insofern verneint werden, da die Definition dieses Begriffs in beiden Kulturkreisen völlig verschieden ist und sich heutige Komponisten sehr stark mit der sehr lebendigen Tradition der chinesischen Musik auseinandersetzen.

Es ist aber ebenso erstrebenswert für viele Komponisten, in Europa zu studieren, um westliches Denken und Handwerk als bereichernde Inspiration in ihre Musik einfließen zu lassen. Im Konzert im Festspielhaus war äußerst spannend zu erleben, wie die Musik ausschließlich chinesischer Komponisten gespielt auf ausschließlich chinesischen Instrumenten wirkt. Nicht nur das Hören wird da auf eine Probe gestellt, man wagt auch kaum, die Werke nach unserem Empfinden zu bewerten, weil man der Kultur damit kaum gerecht wird. Schließlich hat man es bei Zheng und Pipa mit Jahrtausende alten Instrumenten zu tun – allerdings schreibt das Bestreben der Begegnung der musikalischen Kulturen im 20. Jahrhundert auch schon seine eigene Musikgeschichte – durch viele Solisten der sogenannten „Weltmusik“ sind uns Pipa und Sheng nicht mehr gar so fern.

Deswegen war es eine gute Entscheidung, einen ganzen Abend lang einmal chinesische Komponisten „sprechen“ zu lassen. Deren Ensemble-Werke garantierten Abwechslung, denn sie kennen ihre Instrumente natürlich genau und es war faszinierend festzustellen, welche Formen und Farben da entwickelt wurden, sei es in Tan Duns eher ariosen „Dual Passages“ oder den facettenreichen „Primitive Songs“ von Tang Jianping, das sich ebenso wie Yang Liqings „Thinking“ auf traditionelle Kultur bezieht. Überall war aber festzustellen, dass die Spielweisen der Instrumente stark erweitert wurden, vor allem die Zither Zheng und die Laute Pipa bieten den Komponisten reichlich Potenzial zur Kreativität.

In der Verschmelzung der Instrumente im Ensemble lagen weitere sehr reizvolle Momente, besonders in Jia Guopings „Whispers of a gentle wind“ mit leise flimmernden Klängen und Wang Feinans flächigen Strukturen in „The Enchanting Beauties“. Bei aller Fremdheit war es außerdem eine Freude festzustellen, mit welcher Homogenität und hochklassigen Virtuosität die Musiker zu Werke gingen, rhythmisch komplexe Überlagerungen wurden ebenso feinfühlig angegangen wie halsbrecherische Soli auf Saiten und Schlagwerk. Das war ein Blick in eine von der Tradition auf natürliche Weise stark geprägte musikalische Gegenwart Chinas, die sich mit erfrischender Kreativität offenbart.
(6.10.12)

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