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Blütezeit der Spätromantik

Rachmaninow, Elgar und Sibelius im 4. Kapell-Sinfoniekonzert

Zwischen 1899 und 1909 sind die drei sinfonischen Werke entstanden, die bei der Staatskapelle Dresden im 4. Sinfoniekonzert der laufenden Saison auf den Pulten lagen – der Zeitraum benennt eine Blütezeit der Spätromantik, in der auch die meisten Sinfonien von Gustav Mahler oder sinfonische Dichtungen von Richard Strauss veröffentlicht wurden. Sergej Rachmaninow, Edward Elgar und Jean Sibelius in einem Programm gegenüberzustellen bot also reizvolle Bezüge, beispielsweise im Einbezug der nationalen Schulen und weitreichenden Musiktradition der jeweiligen Länder.

Thematisch war der erste Teil des Konzertes dem Meer gewidmet – in Rachmaninows berühmter, 1909 beim Aufenthalt in Dresden vollendeter sinfonischen Dichtung „Die Toteninsel“ nach dem Gemälde von Arnold Böcklin sind die Wogen durchweg spürbar und durchaus von Lebendigkeit durchzogen, bei Böcklin liegt das Wasser still. Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Donald Runnicles, gastierte wieder einmal im Kapellkonzert und wollte wohl zu Beginn für eine passende, kontemplative Stimmung sorgen. Etwas zuviel Ordnungswille im ersten Drittel führte aber genau zum Fehlen des Klangschmelzes, der eine spannungsvolle, zur Steigerung taugende Atmosphäre hervorrufen würde. So kam Runnicles mit dem Orchester erst ab dem zweiten Höhepunkt des Werkes wirklich in Schwung, waren auch immer wieder kleinste Schwankungen im Tempo und im Zusammenspiel zu beobachten.

Edward Elgars Orchesterlieder „Sea Pictures“, Opus 37 sind auf der britischen Insel weitaus häufiger zu hören als hier – See und Se(e)hnsucht liegen uns Kontinentalbewohnern nicht so sehr im Blute, als dass wir eine manchmal mit gehörigem Pathos verbundene Meereslyrik als allererste Vorliebe nennen würden. Die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill zeigte sich vertraut mit den Liedern und gestaltete sie farbenreich und technisch mühelos – ihr Timbre mit einer schon etwas fahl-eisernen Tiefe mag zwar gewöhnungsbedürftig sein, aber für die zum Teil balladesken Lieder passte die Interpretation. Den üppigen Orchesterpart hatte Runnicles vorsichtig sachwaltend in der Hand, viele Details dieser Meeresmusik kamen so gut zur Geltung. Dass Jean Sibelius in dieser Komponistenrunde als fortschrittlichster Kandidat wirken musste, ist kein Geheimnis: wer solch eine ruppig-schöne Sinfonie als Erstling auflegt, zeigt trotz mancher im Stück verarbeiteten Vorbilder der Tradition einen großen Mut.

Ein herrliches Klarinettensolo (Robert Oberaigner) leitete die Sinfonie ein, schwungvoll nahm Runnicles das Allegro des ersten Satzes auf. Erneut waren hier kleine Mängel in der Homogenität und im fließenden Zusammenspiel der Orchestergruppen spürbar und trotz vieler wirklich traumhaft schöner Stellen vor allem im 2. und 3. Satz kam die letzte, zwingende Kraft der Interpretation nicht zustande. Der von vielen Kontrasten und Stimmungsumschwüngen bestimmte 4. Satz wurde von Runnicles kaum atmend in den Übergängen durchgezogen, so dass sich die Intensität des Spiels nicht an allen Stellen frei entfalten konnte, auch fehlte vielen Holzbläserpassagen im Tutti die glänzende Präsenz. Erst zum von Sibelius fahl auskomponierten Abgesang der Sinfonie am Ende des Finales stellte sich wieder eine Hochspannung ein, die man vorher in der Aneinanderreihung schöner Augenblicke vermisst hatte; insgesamt hätte diese starke, eigentlich im Kontext auch sensationell neutönende Sinfonie mehr Innenbetrachtung verdient, die zu Atmosphäre und Spannung beigetragen hätte.
(30.11.2015)

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