Zum Inhalt springen →

„Well, my money is on Thielemann!“

Sächsische Staatskapelle gastiert mit zwei Konzerten bei den Proms

2004 (mit Bernard Haitink) und 2009 (mit Fabio Luisi) war die Sächsische Staatskapelle Dresden bereits bei den „London Proms“ zu Gast. Die Promenadenkonzerte in der Royal Albert Hall, deren erstes 1895 stattfand, genießen international ein großes Renommee, vor allem natürlich durch die berühmte „Last Night“, die am vergangenen Sonnabend das Festival beschloss. Die ganze Musikwelt trifft sich zu den über 70 Konzerten von Juli bis September, und dem Charakter der Proms gemäß herrscht ein buntes Treiben vor der Halle: Frack und Abendkleid sind nahezu verpönt, denn die Proms sind traditionell ein Festival für die Bürger der Stadt. Die Eintrittskarten für die „Prommers“, die Besucher auf den Stehplätzen im Rund der arenaartigen Albert Hall, kosten lediglich um die 6 Pfund – die Schlangen sind lang, aber selbstverständlich britisch geordnet.

Erstaunlich ist die Atmosphäre im Konzert: 5500 Menschen sind zusammengekommen, um Musik zu genießen und dies findet in aller Stille und Konzentration statt – gemeinsam und gemeinschaftlich wird der kulturelle Hunger gestillt. Dermaßen erwartungsvoll waren auch die Dresdner Musiker der Staatskapelle in London angetreten, für Chefdirigent Christian Thielemann war es sogar ein weiteres Debut nach dem Prag-Konzert. Zwei Konzerte bildeten eine kleine Residenz – zuvor hatte die Staatskapelle Berlin unter Leitung von Daniel Barenboim ebenfalls mit Mozart und Bruckner konzertiert, was Twitter-User etwa mit „So, Thielemann versus Barenboim? My money is on Thielemann!“ kommentierten.

Das Ergebnis der beiden Konzerte war schon allein gemessen an der Publikumsreaktion ein außerordentlicher, wenn nicht gar triumphaler Erfolg. Die Staatskapelle Dresden wurde bereits am ersten Abend nach der Darbietung der 3. Sinfonie d-Moll von Anton Bruckner kaum mehr von der Bühne gelassen. Das ist um so mehr erfreulich, da es sich bei diesem Werk keineswegs um eine leichte Erfolge garantierende Sinfonie handelt – zahlreiche Brüche und sequenzartige Passagen wechseln sich mit von Thielemann äußerst zart behandelten Motivdurchführungen ab. Akustisch einfach ist die riesige Albert Hall auch nicht gerade zu bespielen, und dies war eine Herausforderung, die die Staatskapelle Dresden gerne annahm: die Musiker zeigten sich begeistert von der Atmosphäre und leisteten Besonderes, was nicht nur die insgesamt 11.000 Zuhörer im Saal erreichte, sondern auch ganz Großbritannien via BBC live im Radio.

Es spricht für die Klasse des Orchesters, dass an beiden Abenden das ausverkaufte Haus so begeistert reagierte – übrigens auch auf den jungen Pianisten Daniil Trifonov, der in Mozarts C-Dur-Konzert KV 467 mit einiger Nervosität im 1. Satz zu kämpfen hatte und sich fortan auf einen eher respektvollen Zugang beschränkte, dann aber mit einer wunderbar empfundenen Prokofieff-Zugabe, der Gavotte aus dem Ballett „Aschenbrödel“, noch begeistern konnte.

Am zweiten Abend wechselte die Kapelle auf ein Beethoven-Reger-Strauss-Programm und erhielt sogar in den polyphonen Mozart-Variationen von Max Reger Zwischenapplaus für die besonders einfühlsam interpretierte 8. Variation vor der Fuge. Zuvor hatte Geiger Nikolaj Znaider das Violinkonzert von Ludwig van Beethoven interpretiert – sehr perfekt, sehr stringent, manchmal allerdings trat das Werk auf der Stelle, hätte man sich mehr Entwicklung statt güldener Ausstellung gewünscht. Richard Strauss‘ Tondichtung „Till Eulenspiegel“ riss dann auch die Zuhörer von den Sitzen, die noch nicht regulär gestanden hatten, die Zugabe aus Wagners „Lohengrin“ ordnete sich hier perfekt ein – lauter Jubel!

Zufrieden sah man nach dem Konzert das Publikum in alle Richtungen verströmen, am Bühneneingang kamen einige Autogrammjäger sogar noch auf ihre Kosten. Für das Orchester, so teilten die Musiker im Gespräch mit, war es keinesfalls eine routiniert absolvierte Tournee, sondern etwas Besonderes, im Reigen der Weltklasse-Ensembles in dieser traditionsreichen Konzerthalle zu spielen. Die Staatskapelle Dresden reiste dann weiter zum Grafenegg Festival nach Österreich sowie zu einem Gastspiel am Gasteig nach München.

In London bereitete man sich auf die ausverkaufte „Last Night“ vor – angekündigt wurde bereits, dass die Besucher in diesem Jahr in der Royal Albert Hall zu diesem Anlass eine Menge EU-Fahnen schwenken werden. Vielleicht mag man sich von vielen Dingen trennen, aber eine unbedingt zu erhaltende europäische, wenn nicht gar weltumspannende Musikgemeinschaft demonstrieren die London Proms Jahr für Jahr auf eigene, höchst anspruchsvolle Weise – die Staatskapelle Dresden war diesmal ein wertvoller Teil davon.

Rezensionen:

Merken
Die Konzerte sind noch bis zum 7./8. Oktober im BBC Mediaplayer abrufbar.

Merken

image_pdf

Veröffentlicht in Rezensionen

Kommentaren

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert