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Leben und Tod

Franz Welser-Möst mit Gustav Mahlers 9. Sinfonie im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden

Über eine Saison hinweg betrachtet gibt es bei der Sächsischen Staatskapelle selbst in nur zwölf Konzerten eine große Bandbreite vom Unterhaltsamen, leicht Bekömmlichen bis hin zu großer, bekenntnishafter Sinfonik. Dennoch muss gewappnet sein, wer Gustav Mahlers 9. Sinfonie ins Programm nimmt. Musiker wie Zuhörer setzen sich hier musikalischen Gedanken aus, die Leben und Tod derart in das Zentrum des Geschehens setzen, dass man wissen sollte, dass ein „Das geht mich nichts an“ mit dem Kauf der Konzertkarte ein drastisches Ende findet. Mahler fordert die Auseinandersetzung, er führt sie selbst und er gibt sie obendrein an Musiker und Zuhörer weiter, wissend, dass er mit diesem Werk an Grenzen der Formulierung stößt.

Das geht gleich im 1. Satz los, in welchem man sich selbst die ersten Motivfetzen nahezu von einem – nicht erklingenden, gewesenen – Schlachtfeld aufklauben muss. Nach und nach wird eine Musik daraus, rückblickend, schmerzlich, Standpunkte mühsam definierend. Der Österreicher Franz Welser-Möst stand am Sonntagvormittag am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden zum 5. Sinfoniekonzert in der Semperoper und durchmaß Mahlers Welten mit einer sehr klaren Übersicht, fast möchte man Steuerung sagen. Doch die Lotsenposition liegt Welser-Möst und sie kommt ausgerechnet diesem Werk und dem Spiel des Orchesters sehr zugute, um eine Charakteristik der Tonsprache für jeden Satz herzustellen. Und da entwickelte sich nach und nach eine großartige, von gemeinsamem Agieren der Musiker getragene Spannung, so dass man im Opernrund nach jedem Satz erst einmal durchatmen musste.

Welser-Möst ließ in der den Weg behutsam weisenden Lesart den 1. Satz zu einem gewaltigen Klanggemälde aufbauen, dessen Höhepunkte aber gar nicht in den wütenden Tutti-Ausbrüchen lagen, die Welser-Möst mit einer Selbstverständlichkeit nahm, die die Intensität sogar noch steigerte, sondern eher in den verloren wirkenden Statements einzelner Blechbläser oder im wie auf einer abgemähten Wiese herumstochernden Duo von Flöte und Horn. Da war bereits an allen Ecken und Enden spürbar, dass diese musikalische Reise über vier Sätze hinweg keinesfalls in unbeschwerter Lebensbejahung enden würde. Die Mittelsätze gelangen überragend: hier das Scherzo als rumpelnd-trotziges Beweisstück des noch nicht verblichenen Odems, und gleich darauf anschließend die Burleske, die wie ein Sturmwind über den Tanzboden fegt und wahrlich muss die Kapelle in der Konzertmuschel als erstes dran glauben. Während Welser-Möst in den anderen Sätzen den Musikern viel Raum zur Entfaltung gab, hielt er hier die Zügel straff, und das erschien richtig im Sinne der Konsequenz einer atemlosen Zusteuerung auf den 4. Satz hin.

Und dieses Adagio enthielt in der Kapell-Aufführung dann noch eine Überraschung: denn anstelle sich hemmungslos im ausufernden Gesang eines (Selbst-) Mitleides zu suhlen, was dieser Sinfonie ja gerne in unzureichender Näherung unterstellt wird, schafften Orchester und Dirigent noch einen Kraftakt in der Mitte des Satzes: da wirkte der letzte Höhepunkt vor dem Abschiednehmen nicht wie ein Aufbäumen, sondern fast wie eine Alternative, ein „Ja, doch!“. Als Welser-Möst und die Staatskapelle – belohnt von starkem Applaus – das große Mahler-Buch zumindest für diesen Vormittag zuklappten, musste man sich, innerlich bereichert, mit Ruhe in die hiesige Welt zurückbegeben. Das allerdings ist nicht die schlechteste Aufgabe, die einem ein Konzert mitzugeben in der Lage ist.

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