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Ein Werk voller Liebe und Lebendigkeit

Das Gustav Mahler Jugendorchester führt in Dresden Olivier Messiaens Turangalîla-Sinfonie auf

Traditionell ist zur Saisoneröffnung der Sächsischen Staatskapelle Dresden das Gustav Mahler Jugendorchester in die Semperoper eingeladen, welches sich termingerecht derzeit auf seiner Sommertournee befindet. So kommen die Dresdner Zuhörer am Sonnabend zu einem besonderen Musikgenuss, denn das herausragende Ensemble junger Musiker spielt im dreißigsten Jahr seines Bestehens unter Leitung von Ingo Metzmacher die Turangalîla-Sinfonie von Oliver Messiaen (1908-1992), ein sinfonisches Gipfelwerk des 20. Jahrhunderts. Alexander Keuk unterhielt sich mit dem Dirigenten, der als Spezialist für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts gilt.

Ingo Metzmacher, Sie leiten das Gustav Mahler Jugendorchester zum vierten Mal, sie kennen ja viele Ensembles dieser Art – was ist besonders in der Arbeit mit dem GMJO?

Das ist ja nicht irgendein Jugendorchester – das sind alles hochprofessionelle junge Musiker, die in einem langen Auswahlverfahren, in ganz Europa von Portugal bis Russland, ausgesucht werden – es ist ein sehr internationales Ensemble. Es sind durchweg unglaublich begabte und in ihren Kenntnissen schon weit fortgeschrittene Musikerinnen und Musiker, deswegen ist es immer eine besondere Freude für mich, mit dem Gustav Mahler Jugendorchester zusammenzuarbeiten.

Für die jungen Leute ist die Aufnahme im GMJO wie ein Ritterschlag, wie ist das für einen Dirigenten? Ist man im Projekt eher konzentriert oder doch jugendlich-locker?

Nein, die gesamte Atmosphäre ist hochprofessionell. Alle sind sehr gut vorbereitet, sehr konzentriert und aufmerksam – für einen Dirigenten ist das ein Traum.

Für Olivier Messiaens etwa zeitgleich entstandenes Chorwerk „Cinq Rechants“ forderte der einstudierende Chorleiter 40 Proben, Leonard Bernstein hatte 1949 zur Uraufführung von Turangalîla 10 Proben – wie viele haben sie mit dem GMJO? Es gilt als ein äußerst schweres Stück…

Ja, richtig, man braucht viele Proben, aber die Selbstverständlichkeit, mit der solch eine Musik heute gemacht wird, ist natürlich höher als in den 40er Jahren. Nehmen Sie den Wozzeck von Alban Berg. Die Legende sagt, dass Erich Kleiber 1925 in Berlin 100 Proben hatte. Das brauchen Sie heute nicht mehr, man ist mit dieser Art Musik vertraut und es geht heutzutage schneller in der Erarbeitung. Aber natürlich hat diese Sinfonie auch ein paar schwere Ecken, in den zehn Sätzen wechseln die Anforderungen von Satz zu Satz. Das wird aber im Ablauf schnell klar und darauf konzentriert man sich.

Was heißt eigentlich Turangalîla? Worum geht es in dieser Sinfonie?

Der Titel ist Sanskrit – lîla heißt Spielen, es ist ein Spiel, der ganze Titel bezeichnet ein Rhythmusmodell aus der indischen Musik. Es gibt einige dieser rhythmischen, elementaren Themen, die immer wieder auftauchen, beispielsweise die Terzfolge der Posaunen, die schon zu Beginn erklingt und ein bißchen apokalyptisch wirkt. Ein weiterer Rhythmus wird von der kleinen Trommel immer wieder vorgeführt, ein ruhiges Moment geht von den beiden Klarinetten aus – es gibt einige schöne innige Haltepunkte in diesem großen Werk. Messiaen hat da fernab der klassischen Sinfonieform eine eigene Struktur geschaffen, mit Liebesliedern, mit verspielten kleinen Stücken zwischendurch oder großen exaltierten Jubelstücken. Und für mich das Herzstück überhaupt ist der 6. Satz mit dem Thema gespielt von den Ondes Martenot, was ganz langsam vorgeführt wird, das ist der zentrale Moment des ganzen Stücks.

Die Ondes Martenot, ein elektronisches Instrument, hört man sehr selten im Konzert, Messiaen hat sie mehrfach eingesetzt. Es gibt auch einen großen Solopart des Klaviers in der Sinfonie…

Ja, das Klavier ist mal Teil des Orchesters, es ist aber vorne platziert und hat viele Solokadenzen, die gezielt eingesetzt werden. Dann gibt es die Ondes Martenot, dieses ganz besondere Instrument, das Messiaen sehr geliebt hat. Es spielt zumeist sehr lange Melodien, oft gemeinsam mit den Streichern, das sind die sehr schönen, ruhigen Momente der Sinfonie.

Wenn es hier um Spiel, auch um Liebe und Ekstase geht, die man fast programmatisch zu hören meint,ist diese „komponierte Ekstase“ nicht eigentlich ein Widerspruch in der Partitur? Wie realisiert man das als Dirigent?

Besonders mit jungen Leuten muss man immer ein bißchen aufpassen, dass man die Zügel nicht zu locker läßt, sonst überschlägt sich der Enthusiasmus da geradezu. Es ist dann meine Aufgabe in dem Moment eher, den Überblick zu behalten. Es geht nicht darum, wie ich mich fühle, sondern was daraus entsteht. Es kommt also keinesfalls darauf an, dass der Dirigent in Rausch gerät, sondern die Musik rauschhaft gerät, und dafür sollte man eher einen kühlen Kopf bewahren.

Messiaen war streng katholisch und hat ja das Gotteslob und die Auseinandersetzung mit religösen Themen in viele seiner Werke einfließen lassen. Ist auch Turangalîla ein geistliches Werk? Was nehmen wir als Botschaft dieses Stücks mit nach Hause?

Es ist auf jeden Fall ein spirituelles Werk – wie fast jedes von Messiaen. Es ist ein Werk der Lebensbejahung, der Begeisterung für das Lebendige, für den Austausch, für die Liebe, das Spiel, die Vielfalt des Lebens. Das ist besonders erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Messiaen ja im 2. Weltkrieg auch interniert war – in deutscher Gefangenschaft in Görlitz. Es ist überwältigend, dass er die Kraft hatte, danach ein so lebensbejahendes Stück zu schreiben. Wir haben das Stück auf der Tour nun schon einige Male gespielt, und der unglaublichen Wirkung von Turangalîla – gerade unter diesem Aspekt – kann sich wohl niemand entziehen.

Sie dirigieren heute, am Mittwoch, in der Elbphilharmonie in Hamburg. Ist das Stück in diesem neuen Saal besonders? Wie ist ihr Eindruck vom Dirigentenpult aus?

Ich habe hier ja schon zwei Mal dirigiert, ich mag den Saal sehr. Und Hamburg ist für mich sowieso ein besonderer Ort, weil ich hier lange Generalmusikdirektor war. Das Stück wird hier heute besonders gut klingen. Ich freue mich aber auch auf die Semperoper am Sonnabend, ich habe wunderschöne Erinnerungen an die Arbeit in den 90er Jahren dort mit Hans Werner Henzes „Bassariden“.

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto (c) Marco Borrelli

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Veröffentlicht in Interviews Rezensionen

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