Der Capell-Virtuos Denis Matsuev im Rezital in der Semperoper
Der Russe Denis Matsuev gilt spätestens seit seinem Gewinn des Tschaikowsky-Wettbewerbs 1998 als einer der bedeutendsten Pianisten seiner Generation. In dieser Saison stellt er sich bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden als „Capell-Virtuos“ vor und gab am Sonntag ein Solo-Rezital in der Semperoper. So ein Rezital gehorcht besonderen Gesetzen, das wissen wir nicht erst seit Alfred Brendels brillanten Aufzeichnungen über Musik. Das Rezital ist die Visitenkarte des Solisten, aber auch der Erfahrungsraum, der sich von Saal zu Saal, von Publikum zu Publikum und natürlich auch mit der Verfassung und Reifung des Solisten verändert. Solcherlei Parameter muss man nicht unbedingt im Kopf haben, bevor man ein Klavier-Rezital besucht, sie sind aber nützlich und erklären vielleicht auch die unglaublichen Wirkungen, die diese besonderen zwei Stunden – in seltenen Fällen – hervorrufen können.
Manchmal genügt eine einzige Geste: Denis Matsuev, Capell-Virtuos 2017/18 bei der Sächsischen Staatskapelle, nimmt die wenigen Meter zwischen Vorhang und Flügel derart entschlossen, dass man sich in den ersten Minuten in der Semperoper bei einem bilateralen Unterzeichnungsakt – Völkerfreundschaft, Atomausstieg oder ähnliches – wähnt, anstelle in einem Klavierkonzert. Doch das ist verflogen, als der 42-jährige die Tasten berührt und aus dem Steinway den wunderbaren „Jahreszeiten“-Zyklus von Peter Tschaikowsky strömen läßt. Ganz verträumte Momente gibt es da und wenn hier davon gesprochen werden muss, dass Matsuev „den Ton trifft“, dann ist alleine dies eine Besonderheit, denn bei allen tausendfachen Schattierungen, die in den zwölf so harmlos scheinenden Stücken möglich sind, trifft Matsuev vor allem den poetischen, russischen Ton, der unweigerlich bei Tschaikowsky landet und dort auch gar nicht mehr weg will. Hat man erst einmal diesen Garten betreten, ist Wunderliches möglich: da rauscht die Troika vorbei, wird die Ernte im Jubilieren über die Fülle getätigt und in der Barcarole und im Herbstlied wird innigst gesungen. Am Ende legt Matsuev über den Weihnachtswalzer einen Vorhang: sanft wird dieses Poesiealbum geschlossen und die Hände streichen nur noch zart über die Tasten, unirdisch entfernt man sich im Tanz. Jubel zur Pause, dabei war man doch schon völlig berauscht von den Klangfarben und dem Formsinn, den Matsuev allein bei diesem Stück entwickelte.
Dreiteilig gestaltete er die zweite Konzerthälfte, nun mit Beethoven beginnend. Dessen vorletzte Klaviersonate As-Dur, Opus 110 ist so klassisch wie unkonventionell und im Ausdruck äußerst schwer greifbar – als wolle sie sich entziehen, obwohl man mitten in ihr steckt, einem kolossalen Raumgefühl gleich. Matsuev überraschte hier mit einer Romantik, die das Pastorale des 1. Satzes ins Allegro und in den ausladenden Finalsatz überführte. Den Widersinn und gleichzeitig die Faszination der romantischen Fuge, die später etwa Max Reger auf der Orgel zur Reife bringen würde, legte Matsuev hier mit kluger Übersicht bloß. Wenn jeder Ton, wie hier eindrucksvoll demonstriert, eine Geschichte, aber auch eine Folge hat, so spielt man nicht nur im Jetzt, man begreift Beethoven auch in der Ganzheit seiner Fülle – das ist selten so intensiv erlebbar und führt zu einer Lesart, die den späten Beethoven in Schüben begreift, nicht in klanglich-motivischen Details oder klar gesetzten Formverläufen. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Für Sergej Prokofiev musste dann eine Brücke her, und diese lag erneut bei Peter Tschaikowsky, dessen „Méditation“ Opus 72 Nr. 5 eben nicht mehr als klassisches Albumblatt taugt, sondern schon die große Geste umfasst, die Prokofiev dann in der 7. Sonate B-Dur ins Perkussive, Rhythmische weitet. Wie Matsuev hier vom umherirrenden 1. Satz in das bohrende Calando des 2. Satzes überleitete und wie selbstverständlich er den dritten Satz zum wilden Gewitter ausfahren ließ, war natürlich auch ein Showcase, aber auch in der Extrovertiertheit dieser Sonate nahm der Pianist die Noten ernst und hatte vor allem viel ruhigen Atem, um den großen Bogen bis hin zu den Donnerschlägen des Finales auszugestalten. Nachdem Matsuev im zweiten Teil den Tiger in sich geweckt hatte, war er nach Konzertende noch zu vier feinen Zugaben aufgelegt: von Liadows Spieldosenmusik über Sibelius, Beethovens Sturmsonaten-Sturmfinale bis hin zu Edvard Griegs Rausschmeißer „In der Halle des Bergkönigs“ zog sich der Reigen. Matsuev gab hier nicht nur den sensiblen Klangmagier, sondern ebenso den souveränen Unterhalter, dessen perlende Kaskaden und mit Augenzwinkern hingelegte Schlusswendungen auch verrieten, dass bei allem Ernst der hehren Literatur Klavierspielen selbst auf der großen Bühne der Semperoper schlicht eine Menge Spaß machen kann – sympathisch!
- Denis Matsuev ist wieder in Dresden als Solist im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle (18.-20. Mai 2018) zu erleben, dann im 2. Klavierkonzert A-Dur von Franz Liszt. Anschließend geht der Capell-Virtuos mit dem Orchester auf Europa-Tour und besucht dabei – nicht ganz ein Heimspiel, denn Matsuev stammt aus Irkutsk, wo er gerade zum Botschafter der Oblast ernannt wurde – auch Moskau und St. Petersburg.
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Foto (c) Matthias Creutziger
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