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Fragwürdige Nummernrevue

Zum 100. Geburtstag der Ufa widmete sich die Sächsische Staatskapelle Dresden in ihrem vom ZDF ausgestrahlten Silvesterkonzert den großen Schlagern der Tonfilmzeit. Unter Leitung von Christian Thielemann erklang ein kontrastreiches Programm, das bereits im Vorfeld für einige Diskussionen sorgte.

Mit dem Motto „100 Jahre Ufa“ hatte sich die Sächsische Staatskapelle Dresden ein spannendes Jahresausklangsthema gewählt, gleichwohl war man schon im Vorhinein gespannt, wie denn dieses Orchester sich dem Jubiläum widmen würde, war ja schon die Würdigung in Filmkreisen wie auch auf offiziellem Parkett keine einfache. 1917 bereits zu Propagandazwecken des 1. Weltkrieges gegründet, war die Ufa in der Weimarer Republik ein Pionierunternehmen des deutschen Kinos und des Tonfilms, und sie war bis heute auch ein Unternehmen, das sich immer wieder neu erfunden hat und die wechselvollen Zeitläufte auf Zelluloid nicht nur begleitete, sondern immer auch eine kritisch zu betrachtende Haltung dazu einnahm. Differenzierung ist vonnöten, wo von „Durchhaltefilmen“ und offener Propaganda die Rede ist, und wo dann auch im Programm des Silvesterkonzertes in der Semperoper verfemte und verfolgte Komponisten und Textdichter einträchtig neben ebensolchen Berufsvertretern der Nazi-Diktatur stehen, die in hohen Ämtern etwa in der Reichsmusikkammer keine Ressentiments zu befürchten hatten.

Christian Thielemann im Silvesterkonzert 2017.

Zwar bemühte sich Chefdirigent Christian Thielemann im Vorfeld des Konzertes, Kritikern am Programm den Wind aus den Segeln zu nehmen, doch die Unwucht blieb auch angesichts des Live-Erlebnisses am Sonnabend erhalten, weil die musikalische Abfolge unkommentiert über die Bühne ging und das Programm einen reinen Unterhaltungswert schon deswegen einbüßte, weil hier die Kontextualisierung zwingend erforderlich ist. Der Kloss im Hals verschwindet nicht mit dem locker geschwungenen Dirigentenstab und auch nicht mit einer krampfig angekündigten „reflektierten Neuinterpretation“ des Jary-Songs „Davon geht die Welt nicht unter“. Vielmehr hätte man die Arrangeure der eigens für diesen Abend neu und sehr intelligent bearbeiteten Lieder sowie die Dramaturgie des Abends selbst in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit deutlicher in den Mittelpunkt rücken müssen, als es der eher mühsam zu lesende, sich kaum positionieren wollende Programmheftbeitrag als einzige Begleitmöglichkeit zur Musik tat.

„Wir nehmen diese Musik ernst“, hatte Christian Thielemann geäußert. Trotzdem wurde sie in eine fragwürdige, mutlose Inszenierung platziert: der nie für die Ufa komponierende, später emigrierte Komponist Erich Wolfgang Korngold blieb mit der Musik zum Warner-Film „Captain Blood“ eine verzweifelte Randnotiz, dabei hätten gerade dessen weitgehend unbekannte Operettenbearbeitungen einen passenden Anlass zu einer differenzierten Betrachtung des Musiklebens der Zeit ergeben. Stattdessen verspürte ich neben mir schamhaftes Schenkelklopfen älterer Herrschaften im Rang: „War doch nicht alles so schlecht“? Das symbolträchtige Silvesterkonzert mit eigener Historie zwischen Operettenseligkeit und wacker durchgehaltener Hochglanzklassik-Attitüde (wie die Ufa selbst ist auch dieses Ereignis eine wirtschaftlich relevante Marke und damit hochgradig der Doppelbödigkeit preisgegeben) taugte eben ganz und gar nicht zur Auseinandersetzung mit solch einem sensiblen Thema, und diese fand in der Semperoper, zumal ohne Moderation und in zweifelhafter Abfolge einer durch die ZDF-Drehbücher vorgegebenen, leicht gehetzt wirkenden Nummernrevue, eben auch nicht statt. Maximal war ihre beabsichtigte Wirkung – „Die Dinge waren ja oft viel subtiler“, so Thielemann vorab in einem ZEIT-Interview – verfehlt, denn angesichts des straffen Zeitmanagements der Fernsehsendung blieb der Transport von Charme, Ironie, Subversivität selbst in den politisch harmlosen Songs auf der Strecke.

Angela Denoke, Elisabeth Kulman, Daniel Behle und die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Leitung von Christian Thielemann.

Die Ambivalenz, ja Verstörung bleibt beim Hören der Musik bestehen: da gibt es nahezu perfekte Tanzmusiken – Swing und Foxtrot, Paso Doble und Walzer: es ist der Klang der 30er und 40er Jahre. Manche dieser Lieder finden sich in sorgsam gepflegten Schellackplattensammlungen, die meisten Songs aus dem Programm wurden bis in heutige Zeiten adaptiert oder gecovert. Am merkwürdigsten in dieser musikalischen Geisterrunde wirkte denn auch das als Zugabe gegebene „Musik! Musik!“ von Peter Kreuder, das Jim Henson als Intromusik für seine Muppet-Show verwendete. Die Staatskapelle interpretierte all dies mit ihrem bekannten, sehr hohen Selbstanspruch an musikalische Qualität; manche Musiker kamen mit dem Ausflug in dieses eher unbekannte Terrain besser, andere schlechter zurecht.

Getragen wurde das Konzert aber vor allem von den drei hervorragenden Solisten, die den Liedern viel mehr individuelle Größe verliehen, als es abgestreifte Pelze und Stilfrisuren an dem Abend vermochten: Angela Denoke (Sopran), Elisabeth Kulman (Mezzo) und Daniel Behle (Tenor) überzeugten ein ums andere Mal mit großer Sangeskunst: Denokes „Ich steh‘ im Regen“ (Ralph Benatzky) war da ein ebenso musikalisch interessantes, sensibel interpretiertes Dokument wie Theo Mackebens „Nur nicht aus Liebe weinen“. Manchmal hebelte die Tontechnik die Akustik aus, waren rasche Passagen schlecht zu verstehen, und das etwas steife Finale an der Bühnenrampe mit „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ hätte man sich etwa in gründgensscher Hommage rauschhafter, abgründiger denn in solch steifer Fernsehinszenierung gewünscht. Groß war, neben den wirklich wiederentdeckenswerten Marek-Weber-Stücken, die ein Salonorchester hinter dem Orchester vortrug, Elisabeth Kulmans Darbietung der Jary-Lieder, bei denen Interpretation und Arrangement (Tscho Theissing) sofort den Text in den Mittelpunkt rückten. Das war ein – zu kurzer – Moment im Konzert, der innerhalb der permanent wirbelnden Ambivalenz die Frage „Was kann Musik, was darf Musik?“ aufwarf. Davon, und von der Diskussion über Musik bitte mehr im beginnenden Musikjahr 2018.

Fotos (c) Matthias Creutziger

 

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