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Ophelia im Schnee,
Bruckner auf dem Eis

Die Sopranistin Barbara Hannigan begeisterte im Palastkonzert der Dresdner Musikfestspiele

Es war ein langgehegter Wunsch der Dresdner Musikfestspiele, die Sopranistin Barbara Hannigan zu einem Konzert nach Dresden einzuladen, endlich hat es nun bei den Palastkonzerten im Rahmen einer Konzerttour der Bamberger Sinfoniker geklappt. Die vielseitige Künstlerin, die gerade erst den renommierten schwedischen Rolf Schock-Preis für ihr Wirken erhalten hat, ist eine Spezialistin für zeitgenössische Musik und brilliert in den großen, charakterlich wie musikalisch enorm anspruchsvollen Frauenrollen der bedeutenden Opern des 20. Jahrhunderts von Debussy, Berg, Ligeti und Zimmermann. Ihre Projekte schließen aber auch Auftragswerke und Wiederentdeckungen wie George Gershwins „Girl Crazy“, das sie auch singend dirigiert, ein. Ein Stück, das aufgrund seiner kongenialen Verbindung des Vermögens von Komponist und Interpretin seit der Uraufführung 2013 mit verschiedenen Ensembles Erfolge feiert, ist der Liederzyklus „Let me tell you“ des Dänen Hans Abrahamsen (*1952).

Das am Donnerstag im Kulturpalast aufgeführte, etwa halbstündige Werk ist ein seltenes Beispiel einer modernen Komposition, die mit absolut sicherem Handwerk wirklich neue Klänge vorstellt und dabei die Textvorlage, einen Gedichtzyklus von Paul Griffiths auf Basis der Shakespeareschen Ophelia-Figur respektvoll einbettet, sodass der Zuhörer fast an einen Zwischenraum zwischen Musik und Wort gelangt, der der gesamten Atmosphärik der Szenerie entspricht, die Ophelia zwischen Liebe und Verlassensein, Leben und Gelebtem schwanken lässt. Barbara Hannigan kostet diese Figur voll aus und das Musikerlebnis, das man von ihr empfängt, ist vor allem ein körperliches, da sie ihre höchsten, kristallenen Töne wie aus der Erde entnehmen zu vermag, einem Ort weit unterhalb des Kulturpalastes vermutlich. Das war ein seltenes Klangerlebnis von Präsenz und Gegenwart, wovon sich auch das ausverkaufte (!) Auditorium im Kulturpalast spätestens im dritten Teil mitreißen ließ, nachdem vorher – und später auch im zweiten Teil des Konzertes – eher eine herbstlich-gesundheitlich bedingte Unruhe spürbar war.

Abrahamsens mit unglaublicher Sanftheit und Sinn für (zer-)fließende Zeit komponierten Luft- und Naturgeräusche bildeten genau das Bett, in das Hannigan sich dankbar gleiten ließ. Vor allem die Schneeklänge des dritten Teils ließen filmartige Bilder beim Hören entstehen. Jakub Hrůša manövrierte die Bamberger Sinfoniker mit äußerstem Klangsinn durch den Schnee, ließ Zeit tropfen und gleißendes Licht entstehen. Was da im bestimmt vierfachen Pianissimo etwa von den bis zu drei Piccoloflöten ausging, war schon sehr einmalig. Vielleicht wäre eine noch radikaler mit der Spannung der Solistin mitgehende Interpretation an einigen Positionen im Orchester das Sahnehäubchen dieser packenden Darstellung gewesen, aber ein solch vielschichtiges Werk gewinnt auch mit jeder Probe, jedem Spiel eine neue Facette.

Palastkonzert am 26.10.2018 mit der Sopranistin Barbara Hannigan, Hans Abrahamsen und Jakub Hrůša (v.r.) sowie den Bamberger Symphonikern im Dresdner Kulturpalast. Foto: Oliver Killig

Fast ähnlich verhielt es sich mit der anschließenden Darbietung der 4. Sinfonie Es-Dur von Anton Bruckner, der berühmten „Romantischen“. Das traditionsreiche Orchester, das mit seinem Ehrendirigenten Herbert Blomstedt mit ebendiesem Werk vor sechs Jahren in der Frauenkirche gastierte, hatte sich mit dem seit 2016 die Geschicke in Bamberg leitenden, tschechischen Chefdirigenten Jakub Hrůša für die dritte Fassung der Sinfonie aus dem Jahr 1888 entschieden. Seit der Urfassung der Sinfonie waren da schon 14 Jahre Zweifel und Hadern mit dem Werk ins Land gegangen, in denen der mit seinem musikalischen Willen nicht immer sattelfeste Bruckner (und andere) reichlich den Radiergummi gebrauchten – das Angepasste, Nivellierende ist in dieser Fassung leider immer wieder aufscheinend. Jakub Hrůša leitete die Aufführung mit viel Ruhe und einer aufblätternd-analytischen Haltung, wobei insbesondere kammermusikalische Momente zauberhaft wirkten.

Das sanfte Vertrauen, das er seinen Musikern zusprach, führte zu wunderbar ausgekosteten Bläserpassagen insbesondere im 2. Satz, der dadurch eine besondere Nähe zu Abrahamsens Poesie erhielt. Erst im 4. Satz erhielten auch die Höhepunkte eine pointierte, ausgestellte Wucht, die aber nie über’s Ziel hinausschoss. Dass in dieser insgesamt empfunden-respektvollen Interpretation sich dennoch manche Abschnitte im minimal uneinigen Puls der Instrumentengruppen oder in glückloser Intonation auf dem Eise befanden, darf mit dem reichlichen Schneefall vor der Pause einmal entschuldigt sein.

 

Fotos (c) Oliver Killig

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