Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“ feierte Premiere an den Landesbühnen Sachsen
Revolution in Radebeul? Als Beethoven die ersten Noten seiner von den Ideen der Freiheit getränkten Oper „Fidelio“ schrieb, war der Sturm auf die Bastille bereits fünfzehn Jahre her, Europa war ein Flickenteppich und die Begeisterung des Komponisten für Napoleon hatte sich nach dessen Kaiserkrönung 1804 auch wieder abgekühlt. Fühlen wir heute ähnliche Resignation? Ist der Stimmungszustand überhaupt vergleichbar und denken wir überhaupt über Themen wie Freiheit und Gerechtigkeit wirklich nach? Wenn jemand die Antennen ausfahren kann und die Gesellschaft nicht nur erspüren, sondern auch erreichen kann, dann sind es die Theater. So sprachen es die Landesbühnen Sachsen und setzten gleich die ganze aktuelle Spielzeit unter das Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Ein Top-Schlager wie Ludwig van Beethovens Oper darf da natürlich nicht fehlen. Doch es gibt wohl kaum ein Werk, das sinnbildlicher für das Schwanken der gesellschaftlichen und politischen Ordnungen in der damaligen Zeit steht, war es doch schon zu seiner Entstehung ein echtes Problemkind mit gleich vier Ouvertüren und mehreren Überarbeitungen.
Von alldem war allerdings in Radebeul nichts zu spüren, stattdessen hatte Intendant Manuel Schöbel als Regisseur der Oper nahezu meisterlich alles umschifft, was auch nur irgendwie zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Sujet oder gar einer Gefühlsregung geführt hätte. Damit war nicht nur das napoleonische Feuer komplett abgekühlt, nein, ein Diskurs war gar nicht mehr notwendig, weil Schöbel am Ende die (Fake-) Überzeugung gelungen war, einer echten Volksoper beigewohnt zu haben. Sogar mit C-Dur-Happy-End an der Rampe, was will man denn mehr? Möglich, dass dies den meisten Besuchern schon genügt haben dürfte, ein achtbarer Applaus, der vor allem den Sängerleistungen galt, bestätigte diesen Eindruck am Sonntag im Stammhaus Radebeul. Doch eine Botschaft oder gar eine innere Bewegtheit nahm man von diesem Premierenabend nicht mit, denn Schöbel inszeniert das Werk so geradeaus, als folge er einer Gebrauchsanweisung. Anstelle sich in Überwältigung des Musiktheaters zu wähnen, wohnt man einem Fern-Seh-Abend aus der elften Reihe bei – nur die Scheibe hat da noch gefehlt, um der eigenen beklemmend festzustellenden Unbeteiligtheit die Rechtsgültigkeit zu verleihen.
Die Ausstattung (Marlit Mosler) fügt sich dieser Vorgabe und setzt eine Schäfchenwolkenkulisse vor die obligaten Gitterstäbe. Schöbel inszeniert brav, was er in der Partitur vorfindet, die Kleinbürgerlichkeit von Familie Rocco bekommt ebenso seinen Platz wie die Tyrannenkarikatur des Pizarro. Der Minister verteilt am Ende Blumen, Florestan windet sich im Kerkerkäfig, dem eigentlich nur noch das Hamsterrad fehlt, doch auch hier vermeidet Schöbel jegliches Aufsehen, selbst das Grab wird schamhaft an der Seite ausgehoben. Zwei Schaufeln fallen versehentlich dabei um, man schreckt freudig aus dem Sitz auf: nein, entschuldigung, ein Versehen, auch das wird vermutlich in der nächsten Aufführung vermieden. Die Freiheit, übrigens, wurde schon am Anfang in der Ouvertüre erledigt: kluge Sätze auf die Kulisse projiziert, fade-in, fade-out, am Ende verschwimmen die Zitate zu einem Buchstabenhaufen. Obama, Schiller, wer war es noch? Gleichheit heißt eben nicht „ist mir doch egal“, aber Beethoven macht’s ja vor, hören wir also einmal hin.
Und in den frischen und mit Liebe zum Werk klingenden Stimmen des Solistenensembles konnte man einiges Überzeugendes erleben, so etwa die zwischen mädchenhafter Koketterie und festem Willen pendelnde Marzelline, von Kirsten Labonte auch stimmlich in der Rolle sattelfest ausgeführt. Stephanie Krones absolut reife und mit ihrer flexibel eingesetzten Sopranstimme sehr anspruchsvolle Leonoren-Deutung führte mit Recht zu großem Applaus des Premierenpublikums. Ähnlich souverän agierte Hagen Erkrath als väterlich gediegener Rocco sowie Paul Gukhoe Song als Gefängnisgouverneur Don Pizarro – wenn Gerichtsurteile künftig gesungen werden sollten, wäre der koreanische Bariton ein sicherer Kandidat. Die Amnestie oblag allerdings dem Minister Don Fernando, hier von Michael König in gnädiger Lässigkeit gesungen. Während „O welche Lust“ im 1. Akt etwas unter einem zu flüssigen Tempo litt, war der Chor der Landesbühnen Sachsen in der Einstudierung von Karl Bernewitz im Finale dann hervorragend aufgelegt. Das allerdings war wie vieles schon zuvor nur noch Musik an der Rampe.
Was aus dem Graben tönte, war zwar ordentlich erarbeitet, doch Hans-Peter Preu am Dirigentenpult hatte einige Male gut zu tun, in schnellen Tempi die Kräfte zusammenzuhalten. Während die Ensembles daher manches Mal nicht ganz auf den Punkt musiziert waren, drohten langsame wie der Beginn des zweiten Aktes und der erste Auftritt des Florestan (Dirk Konnerth mit leichter Überzeichnung zwischen Verzweiflung und Erschöpfung) eher zu zerfallen. Und bei allem Schönspiel der Elbland-Philharmonie aus dem Graben: wenigstens hier hätte doch die Revolution Einzug halten können, denn die Partitur bietet doch einiges an möglicher Zuspitzung an, die aber auch noch viel mehr Zugriff im Affekt und in der klanglichen Präzision benötigt, um erst einmal ins Parkett zu gelangen. Auf leisen Socken, wie Schöbel und Preu es in Radebeul tun, wird man mit keiner Revolution Erfolg haben. Das aber sollten Liebe, Freiheit und künstlerische wie gesellschaftliche Individualität, die Beethoven hier im mindesten abhandelt, schon wert sein.
- wieder am 21.11., 9.12. und 13.1.19 im Stammhaus Radebeul, außerdem am 25.11. in Großenhain, am 25.1.19 im Theater Meißen, am 6.4.19 in Eisleben und am 10.4.19 in Hoyerswerda.
- zur Stückseite bei den Landesbühnen Sachsen
Foto (c) Pawel Sosnowski
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