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Wie klingt Protest?

Unter diesem Titel lud die Sächsische Akademie der Künste am Montagabend in Dresden zu einem Podium in ihrer Reihe „Mein 1968“ ein – fünfzig Jahre danach ist es geboten, die Wirkungen und Nichtwirkungen der in jeder Hinsicht politisch und gesellschaftlich bedeutsamen Ereignisse im Heute zu reflektieren. Zwar hat die SAdK dies vor 10 Jahren zu eben dem Jubiläum an dortiger Stelle bereits getan, doch die Zeit dreht sich weiter und möglicherweise sind die Erkenntnisse heute andere?

Eingeladen hatte Akademiepräsident Holk Freytag zu einem Gespräch dreier Musik-Menschen, nämlich Peter Gülke, Manos Tsangaris und Jörn Peter Hiekel, die im weitesten Sinne über ihr Tun zumindest eine gesellschaftliche Relevanz, einen Spiegel und/oder eine Auseinandersetzung formulieren: das Politische schleicht sich immer mehr oder weniger absichtsvoll in die Tätigkeiten des Musikwissenschaftlers, des Dirigenten und Komponisten ein oder es „geschieht“, wie Freytag in seiner Begrüßung aus der eigenen Erinnerung heraus schilderte: die Uraufführung des Oratoriums „Das Floß der Medusa“ von Hans Werner Henze in Hamburg geriet am 9.12.1968 zu einem Skandal und musste – wie die Radioübertragung, der Freytag lauschen wollte – abgebrochen werden. Eine Schilderung dieser Ereignisse kann man beim NDR nachlesen.

Peter Gülke

Bevor die Gesprächsrunde dem nachspürte, wie Protest wirklich klingt und welche Wirkung solche Musik entfaltet oder eben nicht entfaltet, musste ein Rahmen abgesteckt werden, um Differenzierung zuzulassen und nicht zu einfache Antworten auf eine Gemengelage zu geben, die insbesondere in der Musik sich eher schemenhaft gibt und eben dort interessant wird, wo nicht der politische Holzhammer gleich im Gestus steckt oder sich propagandistischen Texten unterzuordnen hat. Allein die Aufzählung von Namen, die Protestmusik in ganz unterschiedlichen Kontexten schrieben und schreiben – nehmen wir einmal die in der Veranstaltung genannten Beethoven, Schostakowitsch, Eisler, Henze, Nono, Goldmann, Schenker, Krätzschmar oder Tsangaris – zeigt, dass die Haltungen und Beweggründe höchst verschieden waren und sind. Immer aber waren die Genannten Seismographen inmitten eines gesellschaftlichen oder politischen Prozesses, der aber eben auch wie der Sozialismus der augenblicklich fühlbare Stillstand gewesen sein kann. Auch diesem läßt sich eine musikalische Stimme geben, und sei es die der Karikatur, die, wie Gülke treffend bemerkte, immer dann aufflammt, wenn das Entgegensetzen schon in die Lächerlichkeit mündet, die letztlich nach der Ohnmacht kommt: es wird böse gewitzelt, aber eigentlich bewegt sich nichts.

Manos Tsangaris, Peter Gülke

Und dennoch ist der Drang des Ausdrucks und der Auseinandersetzung bei den Komponisten da, wenn auch mit unterschiedlichem Absichtsbewusstsein. Die Chiffrierung, der sich Komposition als Sprache bedient, hilft, auch eine emotionale Regung, einen Druck oder ein inneres Abwenden, einen Ekel tatsächlich auf’s Papier zu bannen, wo der verbale Protest oder das Herumlaufen mit Bannern auf der Straße die eigene Hilflosigkeit eigentlich nur verstärken würde. Peter Gülke machte denn auch in einem fast manifestären Monolog Mut zur Artikulation, der leider etwas im Raum verpuffte, denn deutlich zu wenig Künstler und Komponisten hatten an dem Abend den Weg zur SAdK gefunden. Protestmüdigkeit? Auseinandersetzungsstarre oder Überforderung mit allgegenwärtigem Pro und Contra eigentlich sinnfreier Debatten und Talks, gleich ob hinter beredtem Bundestagsredepult oder im Manipulationstrash eines TV-Talks? Warum protestieren wir eigentlich nicht (viel mehr?) bzw. nicht mehr? – Das „Empört Euch“ von Stéphane Hessel ist auch schon wieder acht Jahre alt und hat sich als allzu frommer Wunsch entpuppt: alle reißen das Maul auf, Respekt, Schweigen und Zuhören ist bitte an der Garderobe abzugeben.

Wenn ich an dieser Stelle bemerke, dass ich viel mehr eigene Gedanken hinzugebe, als die gestrige Veranstaltung abzubilden, zeigt dies eigentlich auch das gesunde Scheitern derselben im gut zweistündigen Ankratzen eines sehr großen Themas, mit dem jede(r) Anderes verbindet. Die Ausdifferenzierung als Rahmen fand auch zu Beginn durch Peter Gülke klare Worte und war  verbunden in den Prinzipien der Utopie und der Hoffnung – sowohl in Ost und West. Auch die Vorgeschichte der Hippie- und Protestgeneration wie auch musikalische Schlüsselereignisse wurden angerissen: Russland hatte 1962 „seinen“ Strawinsky wieder, der Besuch des Komponisten in der Sowjetunion ist bei der ZEIT nachlesbar). Andere für mich ebenfalls wesentliche Ereignisse – dazu würde ich den ganzen Werkkosmos von Bernd Alois Zimmermann mindestens ab 1965, dem UA-Jahr der „Soldaten“ zählen, aber auch etwa die UA der 13. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch 1962, deren Wirkung am besten mit einer erneuten Vereisung des politischen Tauwetters gleichzusetzen ist, fehlten hier schon aus Platzgründen. Weniger klar auszumachen war ein wirklicher Bruch oder eine Wende in der Musik vor, am Punkt oder nach 1968 nicht, wenn man etwa Darmstadt oder Donaueschingen als Zentren der neuen Musikwelt betrachtet (Stefan Fricke hat dies im April in einem Radio-Essay namens „Die 68er – Demokratie wagen“ bei SWR 2 getan, Abstract hier), eher eine Abgrenzung und Individualisierung im Vokabular, als Beispiel wurde hier Helmut Lachenmann angeführt.

So ging es im weiteren Gespräch der drei Gäste zunächst um eine Grundstimmung, die etwa 1968 auch im Osten verursachte, der „monolithische Block“ (Gülke) des Sozialismus war zunächst einmal zu Ende ohne dass man ihn damals in irgendeiner Form ins Wanken gebracht hätte. Aber die künstlerische Hinterfragung war insofern in der Musik leichter möglich, da ideologische Kriterien an Musik schwieriger zu stellen waren als in anderen Künsten, auch wenn (siehe Komponistenkongresse und Verdikte in der Sowjetunion) es immer wieder versucht wurde, und es in dieser absurden Anmaßung auch Opfer gab – das Prominenteste war wohl Schostakowitsch selbst.

Einig war man sich darin, dass Protestmusik schwierig im „lauwarmen Flachwasser der demokratischen Beliebigkeit“ gedeihe (Gülke), vereinfacht gesagt ist eine „machtgeschützte Innerlichkeit“ eher fatal für die Künste ebenso wie die fehlende Reibungsfläche, erkennbar auch daran, wie manche Komponisten in den 30er Jahren blind in den Faschismus rasselten. Anders dagegen, so formulierte Gülke es, haben Künstler in der DDR immer „verantwortlich“ komponiert, wobei ich hinzufügen möchte, dass dabei der Ruch der Vorsicht und des vorauseilenden Nichtmissverstandenwerdens einkomponiert war. Manos Tsangaris fügte hier ein Zitat von Mathias Spahlinger ins Feld, dass Autonomie auch immer eine „geglückte Abhängigkeit“ sei (Tsangaris: Hören GlutKern Modulation) und wies damit auf die Verortung des Komponisten hin, der vom Werkbegriff bis hin zum Setting einer Komposition immer weitreichende Entscheidungen treffe.

Manos Tsangaris

In der Tragweite dieser Entscheidungen liegt natürlich auch einzuschätzen, wie etwa die Umwelt auf die Musik reagiere. Die „Dekontextualisierung kippt“ heutzutage, Provokation und Protest wurden längst vereinnahmt, wir finden sie heute ebenso in der Werbung – dort auch schon längst vulgarisiert – wie auch als Machtgewinn, etwa in narzisstischen Strategien, die heute schon gar nicht mehr entlarvt oder hinterfragt werden, weil sie natürlicher Teil eines gesellschaftlich akzeptierten Systems sind. Dadurch – dies wiederum eine persönliche Erkenntnis von mir, sind Grenzen der Wahrnehmung und der Einordnung, auch und gerade durch die Medien, völlig herabgesetzt worden und machen einen nahezu surrealistischen Vorgang wie ausgerechnet gestern  mit dem Kunstprojekt SOKOChemnitz geschehen, erst möglich. Tsangaris formuliert daraus eine unmissverständliche Haltung: „Wir sind verdammt dazu, konzeptuell zu denken“.

Derweil ging Gülke, von Tsangaris mit Zustimmung bedacht und gleich nachdem Tsangaris einen kurzen Hauch wunderbarstes Wuppertal-Elberfeld in die Runde brachte, indem er den „Gammlern“ der Vor68er am Brunnen eine kurze Hommage widmete, auf die Formen der Darbietung und Verortung von Musik ein und verteidigte ein Kategoriensystem etwa der Konzerthäuser und des „Bürgerlichen“, das hier unbedingt als Ritual auch positiv konnotiert sei, weil im „geschützten Raum“ sich durchaus Protest und Revolution entfalten kann, mehr noch: die Konzentration auf „Musik in der Mitte der Bühne“ nimmt die Musik selbst zunächst einmal ernst. Sie fährt nicht mit uns Aufzug, sie beschallt uns nicht auf dem Weihnachtsmarkt, sie vergewaltigt uns nicht medial, sondern der umgekehrte Weg erfolgt: wir gehen hin und wollen sie empfangen. Gleichzeitig spielen andere sie für uns. Damit ist schon eine gegenseitige Respektsituation sondergleichen geschaffen, die im Schrei-Schrei des Draußens genau diesen Regelrahmen entbehrt. [Diesem Phänomen habe ich mich in meinem Stück Kan Kun ausführlich gewidmet.] — Das Hinhören (Credo meines Unterrichtes bei Hans Jürgen Wenzel) muss allerdings auch außerhalb der Konzerthallen endlich wieder erlernt werden(siehe Fußnote) und kann dann dort auch zu Protest führen – so wie ich eigentlich seit Jahren keine Kneipen betrete, in denen ich während der Essenseinnahme ein Tennis-Match an der gegenüberliegenden Fernsehwand audiovisuell zwangsverfolgen muss.

Im weiteren Verlauf ging die Diskussion dann in einen Bereich von künstlerischer Freiheit und Befreiung, was eine mindestens mehrwöchige Fortsetzung beansprucht hätte. Es bleibt das vehement vorgetragene Statement von Peter Gülke im Ohr, sich nicht entmutigen zu lassen. Und mehr noch: „die notorische Unterforderung des Publikums vermehrt die Dummheit“. An dieser Stelle hätte wahrscheinlich mdr Kultur entrüstet die nicht erfolgte Übertragung abgeschaltet. Wir hätten in der Veranstaltung Fähnchen gebastelt und dazu noch ein wenig Hans Werner Henze gehört. Und  bleiben unseriös.

Fotos (c) Sächsische Akademie der Künste

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Ein Kommentar

  1. Aaaha, ein SIEMENS-Musikpreisträger (dotiert mit 250.000 EUR) und zwei ordentlich bestallte Professoren kramen in der PROTEST-Erinnerungskiste 😀 Rückt noch ein wenig näher ans Feuer, Freunde! Cognac! Zigarren!

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