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Implodierende Partituren

Gesprächskonzert mit Brian Ferneyhough an der Musikhochschule Dresden

Brian Ferneyhough

Musikstudenten kennen das: ein Konzert steht an, und es fehlt noch etwas neue Kammermusik im Programm. Der beflissene Pianist schleppt eine Partitur aus der Bibliothek an. Man schlägt die Noten auf und erstmal klappt die Kinnlade herunter: Alles schwarz! Irgendwo zwischen Spielanweisungen, Klammern und Akzenten verbergen sich tatsächlich zu spielende Noten. Und doch: wer die Noten wieder zuschlägt und die Aufführung eines Werkes von Brian Ferneyhough erst einmal ablehnt, muss nichts falsch machen. Manche Entscheidung bedarf neben dem vorausgesetzten Talent Mut und Reife oder den richtigen Zeitpunkt im Leben. Die „Erfahrung Ferneyhough“ ist mit Sicherheit etwas Besonderes, und allein dafür dürfte das gute Dutzend teilnehmender Musiker des von KlangNetz Dresden veranstalteten Gesprächskonzertes am Donnerstag in der Musikhochschule schon dankbar sein.

Der 1943 geborene britische Komponist gilt als Hauptvertreter einer „Neue Komplexität“ genannten Strömung der zeitgenössischen Musik. Alle Parameter der Musik werden hier bis in gerade noch vom Hirn vorstellbare Details und Möglichkeiten ausgereizt. Damit bekommen Ferneyhoughs Werke einen oft konstatierten „nervösen“ Zustand an einem Grenzraum des Musikmachens. Sie läßt konventionelle Hör- und Interpretationsvorstellungen schnell hinter sich und eröffnet eventuell einen Raum in der neu entstehenden Lücke, im „Dazwischen“, wie sich auch der Komponist im Gespräch mit Jörn Peter Hiekel in ähnlichen Worten an seine eigenen Werke verbal heranzutasten versuchte. Es war interessant zu beobachten, dass selbst das Gespräch zwischen den musikalischen Darbietungen am Donnerstag einen Grenzfall darstellte, weil Ferneyhough nie Antworten auf Fragen gab und sich in seinen Wortbeiträgen ähnlich verschachtelte, wie seine Stücke oft selbst vom Ohr erst einmal freigegraben werden müssen.

Als der Komponist dann in der Beschreibung zum Ensemblewerk „La Chute d’Icare“ (Der Sturz des Ikarus) von einem gedachten „V“ in der Musik erzählte, das den Beinen des kopfüber ins Wasser gestürzten Ikarus nachempfunden war, war dies von einer plötzlich heftigen Bildhaftigkeit, dass man erschrak. Zuvor vermisste man diese Art von gewohntem oder gewöhnlichem Haltegriff in den präsentierten Stücken – trotz nachfolgender Erläuterungen des Komponisten, die um das Gestische, Schattenhafte, um Konkretes und Improvisiertes kreisten wie Planeten in einem eigenen Sonnensystem, das einfach passiert, aber nichts will. Wer dennoch der Abstraktion einen Glanz abzugewinnen vermochte, war in dem Konzert richtig aufgehoben. Wirklich interessiert waren nur wenige, und man mag auch angesichts der vorgestellten Stücke, deren jüngstes bereits über dreißig Jahre alt war, fragen, ob die Uhr der neuen Musik sich nicht längst über die Marke Ferneyhough hinaus weitergedreht hat. Eine musikalische Gegenüberstellung oder Gegenposition hätte der insgesamt trockenen Gesamtatmosphäre ebenfalls gutgetan. Auch was Ferneyhough heute denkt und komponiert blieb offen, stattdessen näherte man sich liebevoll-nostalgisch den „Klassikern“ an.

Staunenswert waren die Darbietungen allesamt, da die Interpretinnen und Interpreten mit fast meditativer Körperruhe den quasi implodierenden Partituren begegneten, so dass das Querflötenstück „Cassandra’s dream song“ durch Clément Michelot beinahe eine Sanftheit zurückerhielt, die man nicht zuallererst mit dem Komponisten verbinden würde. Tomas Westbrooke konnte „Intermedio alla Ciaccona“ für Violine Solo als gestisches Puzzle formulieren. Die aus der notwendigen Fokussierung heraus entstehende emotionale Kälte der Musik wirkt dann aber irgendwann nur noch belanglos, auch in den folgenden „Four Miniatures“ für Flöte und Klavier (Isabelle Thiele, Flöte und Kei Sugaya, Klavier) war jede einmal angesetzte Energie schon im Folgetakt erstickt, trotzdem war auf engstem Raum zu präsentierende Ausdrucksspektrum der Flötistin enorm. Hier und im abschließenden Ikarus-Stück, das Albrecht Scharnweber an der Solo-Klarinette mit einer reifen Flugleistung versah, vollbrachten die jungen Musiker absolute Höchstleistungen, worüber man am Ende glücklicher war als über den Aspekt des Scheiterns, der einen nach dem Abend noch nicht losließ.

Fotos: wikimedia commons (R. Spalding Flying Machine), Charlotte Oswald

 

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