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Eine feste Größe im Dresdner Musikleben

25 Jahre Sinfonietta Dresden – Festkonzert im Hygiene-Museum

Chapeau! – Seit einem Vierteljahrhundert beglückt das Kammerorchester Sinfonietta Dresden die Stadt und das sächsische Umland beständig mit alter, neuer und neuester Musik – in der Aufzählung liegt schon die erste Konsequenz und ein Markenzeichen! – in eben der spannenden Zwischenbesetzung zwischen einem kleinen Orchester und einer größeren, mit Bläsern und Streichern gemischten Kammermusik. Sinfonietta Dresden ist aus dem musikalischen Leben in Dresden nicht wegzudenken, wenngleich das freie Ensemble natürlich auf Partner und Förderer angewiesen ist und sich jedes Jahr neu finden und erfinden muss. Genau dies tun die Mitglieder des Ensembles, man glaubt es kaum, immer noch vom Küchentischbüro aus organisierend, ohne feste Proben- oder Spielstätte und demokratisch sich selbst mit bescheidenem „pars pro toto“-Gedanken führend, und natürlich eilen viele der Profimusiker von ihren regulären Verpflichtungen noch am Abend in die Sinfonietta-Probe, wo dann – Überraschung – frisch getrocknete Notenblätter auf sie warten, die kein Mensch zuvor gesehen oder gespielt hat.

Das Gemeinsame eint, und das feine, kleine Ensemble ist mit Genuss und Erfolg unterwegs: mit innovativen Programmen und Konzerten Im Jahreslauf der Dresdner Kirchenmusik und als Partner des vokalsinfonischen Geschehens etwa von Universitätschor oder Singakademie ist Sinfonietta Dresden unverzichtbar. Im Resümee nach fünfundzwanzig Jahren sind schon in der simplen Darstellung die Fakten gewaltig: über 500 Konzerte hat Sinfonietta Dresden gespielt, dazu hat das Ensemble mit fast 60 Uraufführungen instrumentaler und chorsinfonischer Art vor allem beständig die Dresdner Kompositionsszene widergespiegelt, gefördert, zur Diskussion gestellt und ist überdies Partner der Komponistenklassen in Halle, Magdeburg und Dresden – damit erhalten auch die jüngsten Tonschöpfer der Region ein klingendes, wertvolles Podium.

Eigene Konzertreihen widmete Sinfonietta Dresden den Klavierkonzerten von Mozart und den Sinfonien von Haydn, jedoch erhielten beide ebenfalls durch kontrastierende neue Musik ihre besondere Spannung, und gerade der wenig bekannten osteuropäischen Avantgarde verschaffte Sinfonietta Dresden in diesen Reihen Gehör. Mit dem Sprung in das Beethoven-Jahr 2020 wird es Ende des Jahres wieder eine neue Konzertreihe geben, dann sollen zu Ludwig van Beethovens Klavierkonzerten Aufführungen von Dresdner Komponisten der Beethoven-Zeit, Kompositionen von Studierenden in Dresden sowie Musik aus Partnerstädten Dresdens die Pole bilden. Durch diese Mischung, das musikalische Weiterdenken oder Entgegensetzen in einem Programm entsteht beim Hören und Musizieren eine besondere Energie, die eben viel mehr braucht und viel mehr ermöglicht als das Zurücklehnen in der konventionellen Berieselungskammer.

Sinfonietta Dresden

Wo es woanders rieselt, strömt es bei der Sinfonietta, das konnten auch die Zuhörer am Donnerstagabend im ersten von zwei Festkonzerten in diesem Jahr feststellen. Im Hygiene-Museum hatten sich die Musiker gleich fünf sehr anspruchvolle Kompositionen als aus dem 20. und 21. Jahrhundert sozusagen als Festouvertüren aufs Programm gesetzt. Rote Fäden gab es außerdem, weil das Konzert gleichzeitig den Auftakt der neuen KlangNetz-Dresden-Konzertreihe „Mensch und Natur“ im Hygiene-Museum bildete und alle Stücke sich diesem Thema auf unterschiedliche Weise annäherten. Selten genug werden uraufgeführte Werke nach Jahren wieder gespielt, selten auch werden Werke von Komponistinnen vorgestellt, aber was macht Sinfonietta Dresden? Einfach beides.

„Im Überschwang des Raumes“ der Dresdner Komponistin und Flötistin Karoline Schulz aus dem Jahr 2007 bildete einen großartigen Rahmen für das Natur-Konzert, weil in diesem Stück das Wuchern und Wachsen im Surround-Sound von vier Orchestergruppen im Saal den Zuhörer quasi in eine frühjahrsartige Situation des Aufbrechens und Passierens katapultierte. Und man brauchte nicht einmal eine Geschichte oder eine führende Hand für diesen höchst individuellen, in jedem Takt neu schimmernden Klangkatalog, eine Ohrenneugier für die fein changierende Klangatmosphäre reichte vollkommen. Mit einer ganz anderen, aber ebenso avancierten Tonsprache holte Carola Bauckholt ihre „Zugvögel“ in den Konzertsaal – erneut eine „Naturmusik“, bei der man angesichts der konstruierten Kunstvögel von Saxophon und Klarinette schon eher überlegte, ob im Konzert anwesende Meisen oder Amseln den Musikern nicht eher den Vogel gezeigt hätten angesichts dieser Revierübernahme. Gerade dieser augenzwinkernde Zugang sprach aus der Musik selbst und war kongenial von dem hier als Bläserquintett auftretenden Ensemble umgesetzt.

Mit der Komposition für Streicher „natura renovatur“ von Giacinto Scelsi aus dem Jahr 1967 ging das klug zusammengestellte Programm weiter und entführte die Zuhörer in eine Klanglichkeit, die wiederum weniger komponiert schien als vielmehr anwesend in dem Sinne, dass nur das Spielen der Musik etwas hervorhob, was ohnehin schon da war und sich im Raum seit Beginn des Konzertes verbreitete. Es war faszinierend zu beobachten, wie die Musikerinnen und Musiker unter der jederzeit ruhigen und souveränen Leitung des erst 21-jährigen Dirigenten Maximilian Otto, der überdies noch kurz vor dem Beginn des Projektes eingesprungen war, hier aufmerksam in die gerade entstehenden Klänge hineinhörten. Ähnlich komplex und genauso beeindruckend wirkte das älteste Stück im Programm, das 1956 geschriebene „Oiseaux Exotiques“ von Olivier Messiaen für Klavier und Ensemble nach der Pause.

Mit dem türkischen Pianisten Emre Elivar gab es zudem eine schöne Wiederbegegnung, denn er hat vor Jahren an der Dresdner Musikhochschule studiert und konzertiert heute in aller Welt. Das Werk war akustisch nicht ganz einfach im Raum auszubalancieren – Solist und Ensemble gelang jedoch eine eindrucksvolle, fast verspielte Interpretation der quicklebendigen messiaenschen Vogelwelt. Nach soviel Spielfreude erhob sich das Ensemble am Ende sprichwörtlich in die Lüfte: die Uraufführung von „Wind“ von Karoline Schulz eröffnete noch einmal einen Assoziationsraum und es war keine Überraschung mehr, dass eben Platitüden von Sturm und Untergang hier viel weniger eine Rolle spielten als vielmehr die besondere Qualität eines Wehens und Brausens, die ein Blatt oder gar einen selbst woanders hinträgt – eben dorthin, wo man noch nicht war. Und dass man sich auch zukünftig von diesem Ensemble bereitwillig in unbekannte, neue Welten fortwehen läßt, ist hoffentlich als großes Kompliment verständlich und sei hiermit ausgesprochen: auf die nächsten fünfundzwanzig Jahre!

 

Konzerte 2019 mit Sinfonietta Dresden (Auswahl)

  • 7. April 2019, Kreuzkirche, Korla Awgust Kocor „Sorbisches Oratorium“, Leitung Judith Kubitz
  • 24. Oktober 2019, Dreikönigskirche, Konzert zu den Landeskirchenmusiktagen
  • 1. November 2019, Kreuzkirche, „Basis. Demokratie – 30 Jahre Mauerfall“, Kooperation mit der Elblandphilharmonie Sachsen, Werke von Berlioz und Voigtländer, Leitung Ekkehard Klemm
  • 20. November 2019, Hochschule für Musik, Zweites Festkonzert und Eröffnungskonzert der neuen Konzertreihe „Beethoven Schnittpunkte“, Werke von Beethoven, Schuster und anderen, Leitung Ekkehard Klemm

Fotos (c) Anja Schneider

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Veröffentlicht in Dresden Rezensionen

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