TONLAGEN, die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik beginnen am 14. März
Seit über dreißig Jahren und im nunmehr 29. Jahrgang gibt es die „Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik“, die Udo Zimmermann 1987 gründete. Sie fanden zunächst in der schon legendären Villa an der Schevenstraße statt und zogen dann in das wiedereröffnete Festspielhaus Hellerau um. Nun, da Carena Schlewitt die Intendanz in Hellerau beim Europäischen Zentrum der Künste übernommen hat, heißen sie „Tage“ auch wieder wie frühe, samt dem beibehaltenen Nachfolgetitel „TONLAGEN“. Das seit 2014 biennal stattfindende Festival findet ab sofort nicht mehr im Herbst, sondern im Frühjahr, an zehn Tagen im März statt, so der neue Programmleiter Musik im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau, der Dramaturg Moritz Lobeck. Der frühlingshafte Aufbruchgedanke zu neuen Musikhorizonten gefällt Lobeck, der jede Menge spannende Projekte in petto hat und natürlich auch schon weiter in Richtung der kommenden Jahre denkt.
Doch gilt gerade im aktuellen Jahrgang dem Blick zurück eine besondere Aufmerksamkeit, denn 30 Jahre nach dem Mauerfall ist der Zeitpunkt gekommen, einmal nach den Entwicklungen und Strömungen der Musik insbesondere in Ostdeutschland zu fragen. Derweil ist ja längst schon die nächste Komponistengeneration aktiv, oder lässt sich dies gar nicht so streng fassen? Lobeck sieht in dieser Hinsicht die Tage der zeitgenössischen Musik als Plattform, musikästhetische Vorgaben oder gar Antworten können und sollen nicht im Vorhinein geliefert werden. Lobeck fragt lieber danach, was uns wichtig ist, welche Musik uns bewegt und wie auch eine gesellschaftliche Relevanz formuliert oder reflektiert wird. Oder umgekehrt: welche Themen sind heute – oder vor 30 Jahren schon? – so brisant oder zeitlos, dass Künstler sich intensiv damit auseinandersetzen, auseinandersetzen müssen. So gelangt man im Gespräch mit Lobeck schnell zu einem der roten Fäden der diesjährigen Tage, nämlich Politischer Musik.
Allerdings in einem weit gefassten Sinne, der künstlerisch offene und gar provokante Statements oder Zustände ebenso zuläßt wie einen Spotlight in einer bestimmten Richtung. Widerstand wäre so ein Spotlight, den gab es 1989 genauso wie heute, und Widerstand ist eine interpretierbare Haltung, je nach Perspektive, Thema und Beteiligten, und hochmusikalisch ist der Begriff mindestens seit Bachs Kontrapunkten. Wenn ein Abend des Ensembles AuditivVokal Dresden daher „Ostgezeter“ benannt ist, so werden viele gleich an den Dresdner Dichter Thomas Rosenlöcher denken – und richtig, der Abend am 17.3. widmet sich poetisch-vokalen Kommentaren unserer Zeit, darunter gleich fünf Uraufführungen. Vor dem Konzert wird es ein einführendes Gespräch zwischen Thomas Rosenlöcher und dem Soziologen Karl-Siegbert Rehberg geben. Mit Christian Münch und Agnes Ponizil sind in diesem Konzert aus Dresden vertreten, die erfreulicherweise das ganze Festival durchsetzen, da auch der Sächsische Musikbund (mit Wolfgang Heisigs Phonola-Konzert am 16.3. und „Komponieren in Sachsen“ am 20.3. vertreten) und die Sächsische Akademie der Künste in Partnerschaft agieren – durch die hier aktiven Protagonisten bekommt die zeitgenössische Musik nicht nur den abgehoben fremd-elitären Charakter, sondern erscheint direkt bei uns in der Stadt verortet.
Der Schwerpunkt der Ostmoderne – allein dieser Begriff ist sicher wert, diskutiert zu werden – ist beim Festival in Kooperation mit der Konzertreihe „Unerhörtes“ der Sächsischen Landesbibliothek (SLUB) etwa durch Konzerte mit dem Leipziger Pianisten Steffen Schleiermacher oder der Elbland Philharmonie Sachsen mit der Uraufführung der 5. Sinfonie des Dresdner Komponisten Wilfried Krätzschmar vertreten. Dass der famose Oboist Burkhard Glätzner im gleichen Konzert das 1979 entstandene Oboenkonzert von Friedrich Goldmann spielt, gehört ebenso zum „Blick zurück“, den Lobeck aber unbedingt mit dem Adrenalin des heutigen Standpunktes angereichert sehen will. Dazu bedarf es der Konfrontation und damit landet man gleich beim nächsten Faden, der schon bei AuditivVokal aufscheint und das Motto für die diesjährigen Tage gibt: „#stimme“ zieht sich nicht nur in direkter Form durch Gastspiele wie die der Sängerinnen und Stimmkünstlerinnen Almut Kühne (Feature Ring, 18.3.) oder Noa Frenkel, die Morton Feldmans „Three Voices“ (15.3.) interpretieren wird. Im weiteren Sinne ist Stimme assoziativ auch als Verstummen, Entäußern denkbar und kann ebenso als vokal-sprachliches Instrument zur Kunstformung wie als natürliches Körperorgan behandelt werden – letzteres dürfte vor allem für Sänger und Studierende beim „Dresdner Stimmforum“ an der Hochschule für Musik interessant sein. Die Kooperationen in Dresden und der Region sind Lobeck bei den Tagen ebenso ein wichtiges Anliegen wie der notwendige, auch unbedingt internationale Blick über den Tellerrand.
Der wiederum – noch mehr Fäden! – gerät genreübergreifend, interdisziplinär. Und die Spielarten zwischen Performance, Installation, Kammermusik und Multimedia sind in den letzten Jahren so fließend geworden, dass damit auch Zuschauer vom Theater einen Zugang zur zeitgenössischen Musik bekommen, wie umgekehrt die Neue-Musik-Freunde sich vom Tanz oder Elektronica begeistern lassen. Die Komponistin Brigitta Muntendorf, am 23.3. in der Aufführung „Keep Quiet and dance“ mit dem Ensemble Garage vertreten, plädiert in einem Essay gar für eine „Community of Practice“, das ist ein verheißungsvoller Ansatz für den Kunstort Hellerau und auch ein Bekenntnis zum performativen Experiment, das unbedingt dorthin gehört. Auch deswegen darf man sich über einen Eröffnungsabend jenseits aller Grenzziehungen mit der palästinensischen Sängerin Kamilya Jubran und dem Schweizer Musiker Werner Hasler freuen.
Uraufführungen von Helmut Oehring und Julia Mihály werden bei den TONLAGEN die interaktive und installative Richtung ansteuern: Oehring erarbeitet zwischen Performance und Installation Momentaufnahmen zum Thema Euridice, während die 1984 geborene Mihály die Startbahn-West-Proteste am Frankfurter Flughafen ab 1979 in ihrer neuen Komposition thematisiert und das Publikum „ins Hüttendorf, ins Epizentrum des Protestes“ setzen will. Wo andere Veranstalter mit Quoten hadern oder die Beteiligung von Künstlerinnen demonstrativ unterstreichen müssen, freut sich Lobeck über die bei den Dresdner erneut stark vertretenen Komponistinnen, Performerinnen, Sängerinnen mit ihren individuellen #stimmen. Und bei allen Fäden schaffen die Tonlagen auch noch einen Bogen zwischen zwei der interessantesten und auch im besten Sinne kompromisslosesten Pianisten und Komponisten der Gegenwart, nämlich Steffen Schleiermacher (der übrigens auch Musik der diesjährigen Siemens-Preisträgerin Rebecca Saunders im Gepäck hat) zu Beginn der Tage und der 80-jährige US-Amerikaner Frederick Rzewski, der seinen 1975 entstandenen Variationszyklus „The people united will never be defeated“ über das chilenische Widerstandslied von Sergio Ortega zum Abschluss des Festivals selbst spielen wird. Nachtkonzerte und Parties, Gespräche und Dialoge ergänzen das Angebot der vor allem an den beiden Wochenenden prall gefüllten TONLAGEN – für die interessierten Zuhörer lohnen sich die Ermäßigungsangebote einer Hellerau-Card oder ein „Doppelpack“ mit mehreren Veranstaltungen an einem Tag.
Veranstaltungen der TONLAGEN (Auswahl):
Do, 14.3., 20 Uhr / Kamilya Jubran und Werner Hasler
Fr, 15.3., 18 und 21 Uhr und während des ganzen Festivals / EURYDIKE? ICH/SIE – I see, volume 1 (UA) von Helmut Oehring
Fr, 15.3., 19 Uhr / Steffen Schleiermacher spielt Schlünz und Saunders
Fr, 15.3., 22 Uhr / Morton Feldman: Three Voices mit Noa Frenkel (Stimme)
Sa, 16.3., 19 Uhr / Elbland Philharmonie Sachsen spielt Goldmann und Krätzschmar (UA), 18 Uhr Konzerteinführung / 22 Uhr „Orpheus im Osten“ Ensemble El Perro Andaluz
So, 17.3., 11 Uhr / Komponisten zum Frühstück: Peter Ablinger, Ensemble Courage
So, 17.3., 19 Uhr / Ostgezeter – AuditivVokal Dresden, Ltg. Olaf Katzer, 18 Uhr Einführungsgespräch mit Thomas Rosenlöcher und Karl-Siegbert Rehberg
Mi, 20.3. und Do 21.3., 18 Uhr / FIASKO – K.A.U., eine Filmoper von K.A.U.&Wdowik
Do, 21.3., 20 Uhr / Politische Oper? Gespräch mit Durs Grünbein (Autor), Andrea Moses (Regisseurin) und Johannes Maria Staud (Komponist)
Fr, 22.3., 20 Uhr / 18WEST – Songs für den Untergang (UA) von Julia Mihály
Sa, 23.3., 20 Uhr / Keep quiet and dance – Ensemble Garage / 22 Uhr Frederic Rzewski, Klavier / 0 Uhr ://about a x VENT – Party mit objekt klein a
So 24.4. 11 Uhr Künster*innenbrunch und Finissage
Fotos (c): Julia Mihály, Brigitta Muntendorf, edgefest (Rzewski)
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