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Verlorenheit als einziges Gefühl

Eröffnungskonzert der TONLAGEN – Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik in Hellerau

Vom 14.-24. März wird in Hellerau wieder umfangreich erkundet, in welchen „Tonlagen“ wir heute in der Musik unterwegs sind. Im Mittelpunkt der Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik, die erstmalig im März und weiterhin im biennalen Rhythmus stattfinden, steht 2019 die #stimme, die sich vielfältig artikuliert, vom Schreien bis zum Summen, von der absichtsvollen Verstimmung bis zum Verstummen. Am Donnerstagabend wurde das Festival im Festspielhaus mit einem Konzert der palästinensischen Sängerin Kamilya Jubran eröffnet. Dass kein Vertreter der Stadt die Gäste persönlich zur Eröffnung begrüßte, erschien ungewohnt, denn damit war auch eine Chance einer Äußerung und im Wortsinne Be-Stimmung vertan, das Festival am neuen Jahrestermin und in neuer Regie zu verorten oder zumindest einen anregenden Einschwingvorgang auszugestalten. Dafür war das Konzert dann selbst zuständig, das wohl diejenigen irritierte, die mit den TONLAGEN noch oder wieder eine im europäischen Sinne klassische Programmatik und Präsentation der zeitgenössischen Musik verbinden – es müssen wohl nicht wenige gewesen sein, denn viele Plätze blieben beim Konzert am Donnerstagabend leer.

Insofern war die Entscheidung der Veranstalter für ein reines Weltmusik/Jazz-Konzert als Eröffnung zwar signalhaft in dem Sinne, dass die Anfahrt auf die Neue Musik einmal aus einer ganz anderen Richtung erfolgen darf. Dennoch fühlte man sich seltsam deplatziert, denn zur Unterstreichung des Interdisziplinären erwünschte man sich vielleicht doch das genau Andere und eigentlich Wesentliche der TONLAGEN, wenn nicht als Hauptpräsentation, dann wenigstens als Kontrast oder Ergänzung. Zumindest war das ganze Haus – und diesmal selbst auf den Toiletten – wie in früheren Jahren schon in Klang getaucht: mehrere Installationen begrüßten die Besucher, den ersten Applaus aus dem Seitenflügel gab es bereits auf dem Parkplatz. Deren Rezeption benötigt allerdings eine eigene Widmung und erfordert neuerliches Hinhören.

Die Elemente von Experiment, Improvisation und natürlich #stimme waren bei den beiden Künstler des Eröffnungskonzerts hinreichend wahrnehmbar, doch nach den ersten Songs dieses unbetitelten Duo-Abends stellten sich weitere Fragen in den Raum, so etwa maßgeblich die nach der musikalischen Qualität des Gebotenen, nachdem die palästinensische Sängerin zu Beginn in wenigen Worten ihre dritte Zusammenarbeit mit dem Schweizer Musiker Werner Hasler vorstellte. Ihr Statement, dass dieses musikalische Aufeinandertreffen in der Entwicklung und damit noch nicht fertig sei, mag in anderen prozesshaften Projekten eben ein kreativer Status quo sein, hier wirkte es im Nachhinein wie eine Entschuldigung. Und dies lag vor allem daran, dass viele kleine Elemente ausgegossen wurden, die im Miteinander nicht zueinander passen wollten. Das Suchen, das Fragmentarische wurde ausgestellt, ohne dass es eine tiefere Ebene im Musikalischen erreichte und somit einen Probierstatus einnahm, den man eigentlich besser im Studio oder hinter verschlossenen Türen exerziert, erübt. Kaum einmal war ein Übergang organisch gestaltet oder eine Form so entwickelt, dass man auch im Hören über das Tasten hinaus gelangt wäre.

Wenn hier von Organik gesprochen wird, so fand eben das absichtsvolle Gegenteil auch nicht statt. Brüche oder Risse gab es keine, die Präsentation selbst wurde nur ab und zu damit aufgelockert, dass Hasler zur Trompete griff und damit ungeahnt sanfte, überraschende Klänge produzierte, die mehr einen Muschel- oder Flötenklang als Bild öffneten. Das wäre beispielsweise ein interessantes Tor zu einer aus der Musik erwachsenden Sinnlichkeit gewesen, die man den ganzen Abend ansonsten über vermisste, weil auch das Verständnis für die musikalische Gestik von Kamilja Jubran fehlte. Der Sprache nicht mächtig und mit einem Textzettel ausgestattet, lauschte man den in den Raum geworfenen stimmlichen Äußerungen der Sängerin, die sich zwischen gepresstem Ausdruck, weichem Melisma und rhythmischem Wortspiel bewegten. Mit ihrem Instrument, der arabischen Laute Oud, hatte sie neben Hasler einen weiteren Gesprächspartner. Sicher versuchten beide die gewohnten Pfade zu vermeiden, um trotzdem individuell authentisch zu bleiben, doch es blieb beim hingetupften Suchen.

Ein Extrem war offenbar nur möglich, indem Hasler Bässe oder Knarzgeräusche seiner Instrumente dynamisch aufzog, dazu ging eine Lampe auf der Bühne an und Trockeneisnebel waberte umher. Die Verlorenheit – ging es den Künstlern tatsächlich und ausschließlich um diese Wirkung? –  wurde am Ende des rund sechzigminütigen Konzerts noch bestärkt, da der letzte Song nahezu abbrach und keine Rundung mehr erfuhr: ein „wir lassen das jetzt“, Applaus und Türen auf. Entlassen wurden die Zuhörer allerdings denkbar unsensibel in die akustische Gleichbewölkung des sich unmittelbar anschließenden DJ-Sets im Dalcroze-Saal. Nach diesem wirklich schwachen Auftakt der TONLAGEN werden die programmatisch abwechslungsreichen kommenden Festivaltage sicherlich für das Aufsperren weiterer und anderer #stimme-Fenster und sowohl für Diskussion als auch Genuss sorgen.

Foto (c) Stephan Floss

 

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Veröffentlicht in Rezensionen

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